Deutscher Kommunalimnformationsdienst 10.11.2025

Cyberangriff legt Stadtverwaltung Ludwigshafen lahm

Die Stadtverwaltung Ludwigshafen ist seit Ende vergangener Woche weder telefonisch noch digital erreichbar. Nachdem am Donnerstag gegen 10:30 Uhr ungewöhnliche Aktivitäten im Netzwerk aufgefallen waren, hat die Stadt vorsorglich alle Datenverarbeitungssysteme heruntergefahren. Die Monitoring-Systeme hatten Anomalien registriert. Nach ersten Untersuchungen verdichten sich die Hinweise, dass es sich um einen gezielten Cyberangriff handelt. Externe IT-Spezialisten sind eingeschaltet und untersuchen zusammen mit der städtischen IT die Systeme auf Infiltrierungen. Die Überprüfungen werden nach Angaben der Stadtverwaltung mindestens die gesamte kommende Woche andauern, möglicherweise auch länger. Herkunft und Ursache des Angriffs sind weiterhin unbekannt. Nach jetzigem Stand geht die Stadt davon aus, dass keine Daten abgeflossen sind. Ob Bürgerdaten betroffen sind, lässt sich noch nicht abschließend klären. Die Systeme können erst nach sorgfältiger Prüfung schrittweise wieder hochgefahren werden. Möglicherweise lassen sich erste Dienste bereits früher wieder in Betrieb nehmen, doch verlässliche Aussagen dazu sind derzeit nicht möglich. Die Stadtverwaltung informiert über den aktuellen Stand in einem PDF-Dokument. Der Vorfall zeigt einmal mehr, wie verwundbar kommunale IT-Infrastrukturen sind. Cyberangriffe treffen bundesweit immer wieder Kommunalverwaltungen und legen nicht selten den gesamten Betrieb über Wochen lahm. Die Angreifer setzen dabei zunehmend auf professionelle Methoden und ausgereifte Ransomware. Für betroffene Kommunen bedeutet das nicht nur erhebliche Kosten für die Wiederherstellung der Systeme, sondern auch einen massiven Vertrauensverlust bei Bürgern und Unternehmen. Kommunen sollten ihre IT-Sicherheitskonzepte regelmäßig überprüfen und auf den neuesten Stand bringen. Dazu gehören mehrstufige Backup-Strategien, die auch im Angriffsfall funktionieren, regelmäßige Sicherheitsupdates, Schulungen der Mitarbeiter und die Zusammenarbeit mit spezialisierten Dienstleistern. Auch die Erstellung von Notfallplänen für den Krisenfall ist unerlässlich. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik bietet kostenlose Handreichungen und Beratung für Kommunen an. (Stadt Ludwigshafen, 09.11.2025) Ganzer Artikel hier…

 

NRW kürzt Budget für Cyberabwehr trotz höchster Bedrohungslage

Nordrhein-Westfalen plant im kommenden Jahr Kürzungen bei der Cyberabwehr – und das trotz zunehmender Gefährdungslage im digitalen Raum. Wie der Kölner Stadt-Anzeiger berichtet, soll das Budget der beim Innenministerium angesiedelten Koordinierungsstelle Cybersicherheit im Haushalt 2026 um rund 16,6 Prozent sinken – von bisher 300.000 Euro auf etwa 250.000 Euro. Dieser Schritt sorgt bei IT-Sicherheitsexperten und Branchenkennern für Unverständnis. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) stuft die aktuelle Bedrohungslage im Cyberraum als „so hoch wie noch nie“ ein. Ein durchaus öffentlichwirksamer und letztlich demokratiegefährdender Vorfall ereignete sich zuletzt am Wahlabend der NRW-Kommunalwahl im September, als ein Server mit Wahlergebnissen attackiert wurde. Vor diesem Hintergrund sollte die Abwehr von Cyberangriffen eigentlich höchste Priorität genießen. Umso überraschender kommt nun die Sparankündigung aus Düsseldorf. Henning Höne, Fraktionschef der oppositionellen FDP im Landtag, kritisiert die geplante Mittelkürzung scharf. „Während hybride Bedrohungen und Attacken immer mehr zunehmen, streicht Schwarz-Grün die Mittel bei der Cyberabwehr zusammen“, sagte Höne dem Kölner Stadt-Anzeiger. Er sprach von „unglaublicher Verantwortungslosigkeit“ der Landesregierung. Zudem habe die im Jahr 2021 gestartete Cybersicherheitsstrategie NRW Ende 2024 einfach geendet, ohne an den aktuellen Stand der Bedrohung angepasst zu werden. Seit diesem Jahr sei das Land nun „offiziell planlos“ in Sachen IT-Sicherheit, so Höne. Er fordert Innenminister Herbert Reul (CDU) auf, umgehend eine neue Strategie vorzulegen und „bestehende Sicherheitslücken frühzeitig zu schließen“. Das NRW-Innenministerium weist die Vorwürfe zurück. Ein Sprecher erklärte, die erforderlichen Haushaltsanpassungen könnten „verantwortungsvoll umgesetzt werden, ohne dass die wesentlichen Aufgabenwahrnehmungen der Koordinierungsstelle für Cybersicherheit NRW beeinträchtigt werden“. Durch Prozessoptimierung und Priorisierung der Aufgaben ließe sich eine „uneingeschränkte Aufgabenwahrnehmung“ auch mit reduzierten Mitteln sicherstellen. Zudem soll die ausgelaufene Cybersicherheitsstrategie des Landes bald aktualisiert und dem Kabinett vorgelegt werden, hieß es aus Düsseldorf. Sicherheitsexperten bezweifeln jedoch, dass weniger Geld ohne Folgen bleiben wird. Ein Blick auf aktuelle Vorfälle zeigt im Gegenteil, wie teuer Nachlässigkeit werden kann: Im Oktober 2023 legte ein Ransomware-Angriff auf den kommunalen IT-Dienstleister Südwestfalen-IT (SIT) mehr als 70 Kommunalverwaltungen in NRW lahm. Über 1,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger konnten zeitweise zentrale Behördendienste nicht nutzen. Es dauerte fast ein Jahr, bis alle der rund 22.000 betroffenen Arbeitsplatzrechner wiederhergestellt waren; der Angriff verursachte laut einer Unternehmensbilanz von SIT-Mehrkosten von mindestens 2,8 Millionen Euro. Hinzu kamen indirekte Schäden, etwa durch entgangene Gebühren und nicht erbrachte Verwaltungsleistungen. Viele Fachleute werten diesen Vorfall als Warnsignal dafür, dass die Abwehrkräfte dringend gestärkt werden müssen – nicht geschwächt. Auch IT-Dienstleister aus der Praxis zeigen sich erstaunt über die Sparpläne. „In der heutigen politischen Lage Mittel für IT-Sicherheit zu kürzen, sendet nicht nur das falsche Signal, sondern ist schlichtweg fahrlässig“, meint Enginsight-Experte Stefan Gockel, der Behörden auf allen Ebenen bei der Absicherung von Netzen und Infrastruktur unterstützt. Das Unternehmen aus Jena ist einer der wenigen führenden deutschen Hersteller für Cybersicherheit und setzt konsequent auf digitale Souveränität und „made in Germany“. Für Gockel, der den Vorfall bei der Südwestfalen-IT auch hautnah als Bürger im Sauerland wahrgenommen hat, sind die Streichungen nicht nachvollziehbar: „Wer den Ausfall von Verwaltungen erlebt, bemerkt recht schnell, dass diese definitiv zur kritischen Infrastruktur gehören. Dabei ist es egal, ob Kommunal-, Landes- oder Bundesverwaltung, alle sind Ziel von gezielten Angriffen im Cyberraum. Wer zu Verteidigung – und im Fall von Verwaltung zum Schutz der Bürger – kein Personal und Budget erübrigt, zahlt für diese Fahrlässigkeit später um ein Vielfaches.“ „Jeder Euro, der präventiv in Cybersicherheit investiert wird, lohnt sich!“, betont Stefan Gockel: „In vielen Industrieunternehmen gibt es den RoI (Return on Invest) genau so gibt es aber auch „die RoSI“ (Return on Security Invest). Wenn man die möglichen Schäden mit der Eintrittswahrscheinlichkeit kombiniert und diese, den Kosten für Cybersecurity gegenüberstellt, amortisieren sich Aussageben sehr schnell“. Vor dem Hintergrund einer sich zusehends verschärfenden Bedrohungslage brauche es stattdessen moderne, sichere IT-Architekturen und konsequente Präventionsmaßnahmen, um Verwaltungen widerstandsfähiger zu machen, so Gockel weiter. Ansätze wie eine erhöhte digitale Souveränität der öffentlichen Hand – etwa im Sinne des angekündigten Deutschland-Stack der Bundesregierung – könnten dazu beitragen, künftige Angriffe effektiver abzuwehren und Abhängigkeiten zu reduzieren. (DEKOM/Enginsight, 10.11.2025) Ganzer Artikel hier…

 

Struktur statt Sammelpostfächer: Wie Kommunen Vorgänge wieder steuerbar machen

Die digitale Transformation der Verwaltung wird häufig mit Plattformen, Fachverfahren und Automatisierung verknüpft. Doch bevor Prozesse digital gesteuert werden können, muss ein grundlegendes Problem gelöst sein: die Art und Weise, wie Verwaltungen heute eingehende Anliegen entgegennehmen und intern weiterverarbeiten. Bereits der vermeintlich niedrigschwellige Ansatz, Bürgeranfragen per E-Mail zu organisieren, erweist sich in der Praxis häufig als kompliziert. E-Mail erzeugt Kommunikation, aber keinen Vorgang. Sobald Nachrichten in Sammelpostfächern auflaufen, weitergeleitet, kommentiert oder „zur Sicherheit“ in Kopie gesetzt werden, verliert die Verwaltung Transparenz über Zuständigkeiten, Bearbeitungsstände und Fristen. Hier zeigt sich: Nicht die Technik entscheidet über Gelingen oder Scheitern, sondern die Organisation des Vorgangs. Nico Hemker, Geschäftsführer der performio GmbH, adressiert genau dieses Spannungsfeld. performio stellt eine Lösung bereit, die aus einem Eingangsvorgang automatisch einen steuerbaren Fall macht – mit eindeutiger Verantwortlichkeit, dokumentierter Bearbeitung und Integrationsfähigkeit in kommunale Systeme. Im Gespräch erläutert Hemker, warum E-Mail im Bürgerservice an ihre systemischen Grenzen stößt und weshalb echte Digitalisierung nicht mit neuen Tools beginnt, sondern mit einer verlässlichen Prozesslogik.

 

DEKOM: Herr Hemker, in vielen Verwaltungen landen Bürgeranliegen nach wie vor in Sammelpostfächern. Warum ist das problematisch?

 

Nico Hemker: Ein Sammelpostfach sammelt nur – es sortiert nicht, steuert nicht und trägt keine Verantwortung. Der Vorgang existiert nur so lange, wie jemand die Mails manuell weiterleitet. Ist diese Person krank oder im Urlaub, verschwindet der Vorgang. In einem Workshop hat jemand gesagt: „Wir sind Inbox-getrieben, nicht prozessgesteuert.“ Das trifft es genau. Ein Mail-System bildet keinen Vorgang ab. Und ohne Vorgang gibt es keine Zuständigkeit und keine Vertretung. Ein Ticketsystem macht genau das anders.

 

DEKOM: Wie unterscheidet sich ein Ticketsystem vom reinen Sammelpostfach?

 

Hemker: Bei einer E-Mail lautet die Frage ständig: „Wer hat diese Nachricht?“ Im Ticketsystem lautet die Frage: „Wer ist verantwortlich?“ Das verändert alles. Aus jedem Eingang entsteht automatisch ein Vorgang mit Verantwortlichem, Historie und Frist. Mitarbeitende suchen nicht mehr nach Mails, sie steuern Vorgänge.

 

DEKOM: Was macht das Ticketsystem dabei konkret?

 

Hemker: Es gibt eine Seite für die Verwaltung – das ist die Bearbeitungsoberfläche –, und eine Seite für Bürgerinnen und Bürger oder interne Mitarbeitende, also ein Portal. Dort geben sie ihr Anliegen strukturiert ein. Das System führt die Informationen zusammen und legt automatisch einen Vorgang an. Eine E-Mail kann ebenfalls ein Ticket erzeugen, aber der größte Effekt entsteht, wenn das Anliegen direkt über das Portal eingeht, weil dort die relevanten Angaben bereits erhoben werden. Daneben sind natürlich weitere Kanäle wie Telefonie, Chat oder Soziale Medien möglich.

 

DEKOM: Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem Kommunen sofort Entlastung spüren?

 

Hemker: Bei Stadtwerken nach der Jahresabrechnung kommen oft hunderte Anfragen innerhalb weniger Tage. Viele davon sind Standard, zum Beispiel: „Bitte reduzieren Sie meinen Abschlag um 20 Euro.“ Im E-Mail-Modell muss das jemand lesen, verstehen und beantworten. Im Ticketsystem wird der Vorgang automatisch erkannt, geprüft und bestätigt. Nur Ausnahmen gehen zur Sachbearbeitung.

So bleibt Zeit für die Fälle, die wirklich Entscheidung brauchen.

 

DEKOM: Und wie funktioniert das bei Vorgängen mit Rechtswirkung – also echten Verwaltungsakten?

 

Hemker: Dann entscheidet immer ein Mensch. Das System führt nur die Schritte zusammen und stellt sicher, dass ein Vorgang weder verloren noch vergessen wird. Es leitet zur zuständigen Rolle weiter und wartet auf die Freigabe. Das System nimmt keine Entscheidungen ab, es verhindert nur, dass Vorgänge verschwinden.

 

DEKOM: Viele Kommunen haben Sorge vor großen IT-Projekten.

 

Hemker: Der Einstieg ist kein IT-Projekt, sondern ein Organisationsschritt. Wir starten mit einem einzigen Prozess. Oft mit Mängelmeldungen oder internen IT-Anfragen. Die Einführung fühlt sich eher an wie „die Website erweitern“, nicht wie ein klassisches IT-Projekt mit langen Vorbereitungszeiten, hohen Investitionen und langfristige Vertragsbindungen.

 

DEKOM: Wie lösen Sie das Thema Hosting und Datenschutz?

 

Hemker: Wir hosten in Deutschland. Genauer: im Rechenzentrum der STACKIT, die zur Schwarz Gruppe gehört. Für Kommunen ist das ein echter Türöffner, weil damit die üblichen Vorbehalte gegen US-Clouds nicht mehr greifen.

 

DEKOM: Und die Integration in bestehende Strukturen, etwa über kommunale Rechenzentren oder SAP?

 

Hemker: Wir integrieren dort, wo es sinnvoll ist – mit KDVZ, mit SAP-Vertragsdaten oder anderen Fachverfahren. Die Kommune muss dabei keinen eigenen Betrieb sicherstellen, wir übernehmen das oder arbeiten mit dem jeweiligen Partner zusammen.

 

DEKOM: Was geben Sie Kommunen zum Abschluss mit?

 

Hemker: E-Mails sortieren ist keine Verwaltungsarbeit. Vorgänge steuern schon. Sobald eine Anfrage ein Ticket wird, gibt es Verantwortung, Vertretung und Transparenz. Automatisierung nimmt keine Kontrolle – sie schafft sie.

 

Über performio

Die performio GmbH mit Sitz in Brühl (Baden-Württemberg) ist ein IT-Systemhaus, das seit 2007 Unternehmen und öffentliche Auftraggeber unterstützt – insbesondere Kommunalverwaltungen, Stadtwerke und kommunale Unternehmen. performio entwickelt Lösungen, mit denen eingehende Anliegen von Anfang an als Vorgang geführt und nachvollziehbar bearbeitet werden können: mit klarer Zuständigkeit, dokumentiertem Verlauf und geordneten Übergaben zwischen Fachbereichen. Der Betrieb erfolgt vollständig in Deutschland; das Unternehmen ist nach ISO/IEC 27001:2022 zertifiziert.

(DEKOM, 10.11.2025) Mehr Infos hier…

 

Rechenzentren in Deutschland: KI treibt das Wachstum

Der Ausbau von Rechenzentren in Deutschland nimmt deutlich an Fahrt auf. Nach aktuellen Berechnungen des Bitkom werden die Betreiber 2025 rund 12 Milliarden Euro in IT-Hardware und weitere 3,5 Milliarden Euro in Gebäude und technische Infrastruktur investieren. Bis 2030 sollen sich die installierten Kapazitäten nahezu verdoppeln – von derzeit knapp 3.000 Megawatt auf dann mehr als 5.000 Megawatt Anschlussleistung. Haupttreiber dieser Entwicklung ist die rasant wachsende Nachfrage nach Künstlicher Intelligenz und Cloud-Computing. Besonders dynamisch entwickeln sich KI-Rechenzentren. Ihr Anteil an den Gesamtkapazitäten liegt derzeit bei 15 Prozent, soll aber bis 2030 auf 40 Prozent steigen. Die für KI-Anwendungen ausgelegte Anschlussleistung wird sich in diesem Zeitraum vervierfachen – von 530 auf über 2.000 Megawatt. Parallel dazu gewinnen Cloud-Infrastrukturen weiter an Bedeutung. Sie machen bereits jetzt knapp die Hälfte aller Rechenzentrumskapazitäten in Deutschland aus, vor fünf Jahren waren es erst 29 Prozent. Für Kommunen ist diese Entwicklung von unmittelbarer Bedeutung. Rechenzentren sind ein wirtschaftlicher Standortfaktor, der technologieorientierte Unternehmen anzieht und regionale Wertschöpfung generiert. Gleichzeitig stellen sie Verwaltungen vor konkrete Herausforderungen bei Planung, Genehmigung und Infrastrukturanbindung. Regional konzentriert sich das Wachstum bislang stark auf wenige Standorte. Mit Abstand führend bleibt das Cluster Frankfurt am Main, wo mehr als ein Drittel aller deutschen Rechenzentrumskapazitäten installiert sind. Der Großraum Frankfurt verfügt über eine Anschlussleistung von gut 1.100 Megawatt und wächst derzeit mit einer Rate von 14 Prozent jährlich. Es folgen Bayern mit 420 Megawatt, Nordrhein-Westfalen mit 378 Megawatt sowie Baden-Württemberg und Berlin. Am unteren Ende der Skala liegen Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und das Saarland mit jeweils unter 20 Megawatt. Diese Verteilung dürfte sich allerdings in den kommenden Jahren deutlich verschieben. Neben weiteren Großprojekten im Raum Frankfurt sind erhebliche Investitionen in Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern geplant. In Nierstein soll ein Rechenzentrum mit 480 Megawatt IT-Anschlussleistung entstehen, in der Gemeinde Dummerstorf wird sogar über ein Projekt mit 1.000 Megawatt diskutiert. Brandenburg plant Kapazitäten von 888 Megawatt. Die Standortfaktoren, die für Rechenzentrumsbetreiber relevant sind, unterscheiden sich je nach Art des geplanten Zentrums. Frankfurt punktet vor allem mit der Anbindung an Europas größten Netzwerkknoten DE-CIX, einem etablierten Ökosystem und einem starken wirtschaftlichen Umfeld. Auch Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Berlin bieten vergleichbare Vorteile bei der Konnektivität. Die Region Berlin-Brandenburg positioniert sich zunehmend als zweiter großer Hub mit hoher internationaler Sichtbarkeit. Die nördlichen Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern können dagegen vor allem durch verfügbare Flächen, die internationale Anbindung über Seekabel und die Nähe zu skandinavischen Standorten überzeugen. Für kommunale Verwaltungen ergeben sich aus dieser Entwicklung konkrete Handlungsfelder. Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder empfiehlt Ländern und Kommunen, Rechenzentren gezielt in ihre Regionalstrategien einzubeziehen und geeignete Flächen auszuweisen. Gleichzeitig müssen die Rahmenbedingungen stimmen. In Deutschland dauern Planungs- und Genehmigungsverfahren für neue Rechenzentren im Schnitt rund sechs Monate länger als gesetzlich vorgesehen – und deutlich länger als im EU-Durchschnitt. Hier besteht erheblicher Verbesserungsbedarf. Ein weiteres Thema ist die Abwärmenutzung. Rechenzentren erzeugen erhebliche Mengen an Abwärme, die sich in kommunale Wärmenetze einspeisen lässt. Bitkom schlägt vor, die Abwärmenutzung durch steuerliche Anreize für Abnehmer, eine bessere kommunale Wärmeplanung und den Ausbau moderner Wärmenetze zu stärken. Für Kommunen, die ohnehin vor der Aufgabe stehen, ihre Wärmeversorgung zu dekarbonisieren, könnte die Ansiedlung von Rechenzentren damit zusätzliche Chancen eröffnen. Auch bei der Stromversorgung sind kommunale Netzbetreiber gefordert. Der Strombedarf deutscher Rechenzentren wird 2025 bei 21,3 Milliarden Kilowattstunden liegen, 2015 waren es noch 12 Milliarden. Zwei Drittel davon entfallen auf die IT-Infrastruktur, das übrige Drittel auf Gebäudetechnik, Kühlung und unterbrechungsfreie Stromversorgung. Zwar werden die eingesetzten IT-Systeme kontinuierlich effizienter – die Energieeffizienz von Standardservern stieg zwischen 2017 und 2022 um durchschnittlich 26 Prozent pro Jahr. Der stark wachsende Bedarf durch KI-Anwendungen überkompensiert diese Effizienzgewinne jedoch deutlich. Eine bedarfsgerechte und koordinierte Verteilung von Stromnetzanschlüssen wird daher immer wichtiger. Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland allerdings hinterher. Die USA verfügten bereits 2024 über eine installierte Leistung von 48 Gigawatt – das 16-Fache der deutschen Kapazitäten. China liegt bei 38 Gigawatt. Allein die zehn größten US-Rechenzentren sind so leistungsstark wie alle 2.000 deutschen Rechenzentren zusammen. Besonders bei KI-spezialisierten Mega-Rechenzentren ist Deutschland bislang nicht vertreten, während in den USA Projekte mit Investitionen im zweistelligen Milliardenbereich anlaufen. Bitkom fordert daher eine umfassende Rechenzentrumsstrategie der Bundesregierung mit konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Die zentralen Forderungen des Verbands betreffen wettbewerbsfähige Energiekosten, eine Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie eine Überarbeitung des regulatorischen Rahmens. Insbesondere die Vorgaben des Energieeffizienzgesetzes müssten mit europäischen Standards harmonisiert werden. Für Kommunen bedeutet das: Wer heute die richtigen Weichen stellt, kann von der Dynamik des Marktes profitieren. Wer zögert, läuft Gefahr, den Anschluss zu verlieren. (DEKOM/BITKOM, 10.11.2025) Ganzer Artikel hier…

 

Klimakosten in der Wasserversorgung – Kommunale Netze unter Anpassungsdruck

Eine neue Pilotstudie von BDEW und DVGW zu den Klimakosten in der Wasserversorgung macht einmal mehr deutlich, wie stark der Klimawandel die Grundlagen der kommunalen Infrastruktur verändert. Längere Trockenphasen, steigende Temperaturen und häufigere Starkregenereignisse setzen Netze und Anlagen zunehmend unter Druck. Für viele Versorger wird die Modernisierung ihrer Systeme damit nicht nur eine Frage der Effizienz, sondern der Anpassungsfähigkeit. Nach den Ergebnissen der Studie liegt der Anteil klimabedingter Zusatzkosten künftig zwischen 7 und 30 Prozent der Gesamtinvestitionen. Besonders ins Gewicht fallen bauliche Maßnahmen wie tiefere Verlegezonen, isolierte Speicher oder größere Transportkapazitäten, um Versorgungssicherheit auch in Spitzenzeiten zu gewährleisten. Hinzu kommen höhere Planungsanforderungen, Genehmigungsverfahren und Investitionen in Energieeffizienz oder digitale Überwachungssysteme. Für Stadtwerke und Zweckverbände wird Klimaanpassung damit Teil des Tagesgeschäfts. Überall dort, wo Netze erneuert oder erweitert werden, stellt sich die Frage: Wie lässt sich Versorgungssicherheit dauerhaft sichern – bei steigenden Kosten, kürzeren Bauzeiten und begrenzten Ressourcen? Im Fokus stehen Lösungen, die sich in bestehende Abläufe einfügen und sowohl technisch als auch organisatorisch Bestand haben. Ein Beispiel für diesen praxisorientierten Ansatz ist EBERO FAB. Das Unternehmen arbeitet eng mit kommunalen Versorgern zusammen, um Bau- und Sanierungsprojekte verlässlich und effizient umzusetzen. Entscheidend ist dabei die Verbindung von technischem Know-how und gut organisierter Material- und Lieferlogistik – ein Zusammenspiel, das gerade bei zeitkritischen Maßnahmen im Wasser- und Energiebereich zunehmend an Bedeutung gewinnt. „Wir beobachten, dass sich die Anforderungen in der Wasserversorgung spürbar verschieben“, sagt EBERO AG CEO Carsten Schweneker. „Viele Projekte, die früher als reine Sanierungsvorhaben geplant waren, müssen heute auch auf Spitzenlasten, Temperaturveränderungen und Resilienz ausgelegt werden. Das verändert den Blick auf Planung und Umsetzung.“ Die Studie zeigt: Klimaanpassung ist längst kein Sonderthema mehr, sondern Teil der kommunalen Investitionsplanung. Die Infrastruktur der Zukunft muss nicht nur sicher und wirtschaftlich sein, sondern auch widerstandsfähig gegenüber den Veränderungen im Wasserhaushalt. Kommunen, die heute vorausschauend investieren und auf Partner mit Erfahrung und Verlässlichkeit setzen, schaffen damit die Basis für eine Versorgung, die auch in neuen Klimarealitäten Bestand hat. (DVGW/BDEW, 03.11.2025/DEKOM, 10.11.2025) Ganzer Artikel hier…

 

Energiewende: Versorger vor 535-Milliarden-Investition – Finanzierung wird zum Engpass

Die Umsetzung der Energie- und Wärmewende stellt kommunale Energieversorger vor eine enorme Finanzierungsaufgabe. Bis 2045 müssen in Deutschland 535 Milliarden Euro in Strom- und Gasverteilnetze sowie in die netzgebundene Wärmeversorgung investiert werden. Rund zwei Drittel dieser Summe werden bereits bis 2035 fällig. Das geht aus einer Studie hervor, die die KfW bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC in Auftrag gegeben hat. Die Zahlen verdeutlichen das Ausmaß der Herausforderung: Aus eigener Kraft können die Energieversorger nur etwa ein Viertel des Investitionsbedarfs decken. Weitere zehn Prozent ließen sich über Fördermittel und Baukostenzuschüsse finanzieren. Es verbleibt eine Finanzierungslücke von 346 Milliarden Euro, was 65 Prozent des Gesamtbedarfs entspricht. Diese Lücke müsste durch zusätzliches Eigenkapital in Höhe von 47 Milliarden Euro und Fremdkapital von 299 Milliarden Euro geschlossen werden. Besonders drängend wird die Situation bis 2035. In diesem Zeitraum werden 40 Milliarden Euro an zusätzlichem Eigenkapital und 218 Milliarden Euro an Fremdkapital benötigt. Die Berechnungen gehen davon aus, dass die Unternehmen eine Eigenkapitalquote von mindestens 25 Prozent aufrechterhalten. Für Kommunen und ihre Stadtwerke stellt sich die Lage besonders schwierig dar. Die Gewinne kommunaler Energieversorger dienen häufig zur Querfinanzierung anderer kommunaler Aufgaben. Diese Mittel stehen daher nur begrenzt für die Finanzierung der Energiewende zur Verfügung. Auch die Aufnahme von Fremdkapital über klassische Bankkredite stößt an Grenzen. Nach Schätzungen von PwC belaufen sich die von deutschen Banken an Energieversorger vergebenen Kredite derzeit auf rund 130 Milliarden Euro. Bis 2035 wäre unter Berücksichtigung von Tilgungen ein Nettozuwachs von 100 Milliarden Euro nötig, sollte der Fremdkapitalbedarf allein über neue Kredite gedeckt werden. Gerade bei regionalen Banken dürften die Kapazitäten für eine solche Ausweitung begrenzt sein. KfW-Chefvolkswirt Dirk Schumacher betont, dass die klassische Kreditfinanzierung an ihre Grenzen stoße. Für eine erfolgreiche Modernisierung der Energieinfrastruktur brauche es auch auf politischer Ebene Überlegungen, wie der finanzielle Instrumentenkasten erweitert werden könne. Henry Otto, Leiter Energy Consulting bei PwC, ergänzt, dass neben klassischen Bankkrediten neue Finanzierungsinstrumente, Partnerschaften und innovative Modelle entwickelt werden müssten. Die Studie nennt verschiedene Ansätze zur Verbreiterung des Finanzierungsangebots. Größere Energieversorger könnten verstärkt Schuldscheindarlehen nutzen. Konsortiale Kofinanzierungen von Förderinstituten oder die staatliche Übernahme eines Teils des Kreditausfallrisikos könnten die Kreditfinanzierung erweitern. Die Verbriefung von Krediten und die Weiterverteilung des Risikos an Drittinvestoren würde Hausbanken entlasten und Kapazitäten für Neukredite schaffen. Für die Eigenkapitalstärkung kommunaler Energieversorger liegt bereits ein Vorschlag des Verbands öffentlicher Banken vor, der teilweise Anpassungen des Kommunalrechts in den Bundesländern erfordern würde. Auch mezzanine Kapitalinstrumente unter Einbindung von Förderinstituten könnten eine Lösung darstellen. Diese würden gegenüber traditionellem Kreditkapital nachrangig behandelt, hätten aber keine Mitbestimmungsrechte. Ebenso könnten Kapitalverwaltungsgesellschaften zusätzliche Mittel privater Investoren bündeln und als Nachrangkapital zur Finanzierung einer breiten Anzahl von Energieversorgern einsetzen. Für Kommunen bedeuten diese Entwicklungen, dass die Finanzierung der Energiewende zur strategischen Aufgabe wird. Ratsversammlungen und Aufsichtsräte müssen sich mit neuen Finanzierungsmodellen auseinandersetzen und möglicherweise die bisherige Rolle ihrer Stadtwerke als kommunale Einnahmequelle überdenken. (DEKOM/KFW, 10.11.2025) Ganzer Artikel hier…

 

Sperrungen maroder Brücken: Schäden, Umwege und Staustunden in Millionenhöhe

Im deutschen Autobahnnetz müssen rund 8.000 Brückenbauwerke vordringlich saniert und modernisiert werden, um den Anforderungen des heutigen Verkehrsgeschehens gerecht zu werden. In den vergangenen Jahren mussten bereits – teils über mehrere Jahre – Brücken ungeplant und plötzlich gesperrt werden, weil Tragfähigkeit und Standsicherheit nicht mehr gewährleistet werden konnten. Der ADAC hat deshalb bei fünf sanierungsbedürftigen Bundesfernstraßenbrücken simuliert, welche Folgen eine spontane Vollsperrung für den Verkehr, die Anwohner und die Umwelt hätte und wie groß die jährlichen volkswirtschaftlichen Kosten wären. Im Auftrag des ADAC hat das Ingenieur-Büro PTV Transport Consult GmbH Sperrungsszenarien an fünf Großbrücken entwickelt, die auf der bundesweiten Sanierungsliste stehen: In Hamburg die Norderelbbrücke an der A1, die Friedrich-Ebert-Brücke auf der A565 im Bereich Bonn-Nord, die Donaubrücke Sinzing über die A 3 bei Regensburg, die Böllinger Talbrücke über die A6 bei Heilbronn sowie die Agra-Brücke auf der B2 in Leipzig. Müsste die mehr als 60 Jahre alte Norderelbbrücke an der A 1 in Hamburg von einem Tag auf den anderen gesperrt werden, wären die Folgen immens: Die Brücke wird täglich von rund 125.000 Fahrzeugen genutzt, bei einer Sperrung würde ein Großteil auf die ohnehin schon belastete A7 ausweichen, aber auch in das Hamburger Stadtgebiet. Pkw-Fahrer müssten pro Jahr rund 150 Millionen Kilometer zusätzlich zurücklegen, die Zeit, die Betroffene für Umwegfahrten zusätzlich benötigen oder in Staus verbringen, würde rund 14 Millionen Stunden betragen. Steigen würden zudem der Spritverbrauch, die CO2-Emissionen sowie Lärm und Staus, insbesondere in den näheren Stadtgebieten. Der volkswirtschaftliche Schaden läge bei 334 Millionen Euro jährlich. Sperrungen dauern meist mehrere Jahre, bis Planung, Genehmigung und Bau einer Ersatzbrücke abgeschlossen sind. Dramatisch wären auch die Folgen einer Sperrung der Friedrich-Ebert-Brücke (A565) über den Rhein in Bonn. Pro Tag fahren hier 120.000 Fahrzeuge. Pkw müssten Umwege von insgesamt 50 Millionen Kilometer in Kauf nehmen, Lkw 5,5 Millionen Kilometer. Die meisten Autofahrerinnen und Autofahrer würden bei einem Ausfall der Brücke nach Norden in den Kölner Raum ausweichen und dort das Verkehrssystem belasten. Der volkswirtschaftliche Schaden würde sich pro Jahr auf über 170 Millionen Euro belaufen. Ähnliche Ausmaße hätten auch die Folgen der Brückensperrungen bei Regensburg (A3), Heilbronn (A6) und Leipzig (B2). Eine Vollsperrung der Donaubrücke Sinzing bei Regensburg würde den Verkehr zu weiten Umwegen über die Autobahnen A 93 und A6 zwingen und die Fahrzeiten deutlich verlängern. Der Schaden für die Volkswirtschaft läge bei rund 75 Millionen Euro jährlich. Auch eine Unterbrechung der A6 bei Heilbronn würde großräumige Umwege verursachen und den Verkehr auch auf weiter entfernten Autobahnen wie der A8 und der A5 zusätzlich belasten. Der volkswirtschaftliche Schaden läge hier bei rund 172 Millionen Euro im Jahr. Der Schaden durch eine Brückensperrung auf der B2 in Leipzig wäre zwar mit etwa 14 Millionen Euro pro Jahr verhältnismäßig gering, die Folgen für die Anwohner auf den Ausweichrouten im Osten und Westen der Agra-Brücke jedoch immens. ADAC-Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand fordert, die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel aus dem Sondervermögen jetzt zu nutzen und in den nächsten Jahren weiter zu steigern, um die Sanierung und Erneuerung von Bauwerken zu beschleunigen: „Mit jedem weiteren Jahr, das bei der Erneuerung einer Brücke ungenutzt verstreicht, steigen die Risiken für Folgeschäden und damit für starke Belastungen von Autofahrern, Anwohnern und Volkswirtschaft erheblich.“ Laut ADAC gibt es bei den Brückenbauwerken in Deutschland einen immensen Sanierungs- und Modernisierungsbedarf. Allein auf den Autobahnen müssen bis 2040 rund 8000 Brückenbauwerke erneuert oder saniert werden. Diese liegen in der Regel in den westlichen Bundesländern, viele von ihnen wurden in den 1960er und 70er Jahren gebaut und sind für die heutigen Verkehrsbelastungen nicht dimensioniert worden. Die restliche Lebensdauer ist deshalb begrenzt. In den vergangenen Jahren mussten bereits Brücken spontan gesperrt werden, weil sie aufgrund des Alters und den vorhandenen Schäden den Verkehrslasten nicht mehr standgehalten hätten. Das bekannteste Negativbeispiel ist die Talbrücke Rahmede (A 45) bei Lüdenscheid, aber auch die Ringbahnbrücke (A 100) in Berlin. (ADAC, 06.11.2025) Ganzer Artikel hier…

 

Chemie-Standorte schlagen Alarm: Gewerbesteuerausfälle in dreistelliger Millionenhöhe

Die anhaltende Krise der deutschen Chemieindustrie trifft die kommunalen Haushalte mit voller Wucht. Besonders deutlich zeigt sich das in Leverkusen: Der Stadt fehlen 285 Millionen Euro an Gewerbesteuereinnahmen. Statt der erwarteten 385 Millionen Euro fließen nur rund 100 Millionen Euro in die Kasse – ein Ausfall von fast 75 Prozent. Die Schwierigkeiten der Branche sind längst keine bloße Konjunkturdelle mehr. Hohe Energiepreise, der CO₂-Zertifikatehandel, eine dichte Regulierung und Billigimporte aus China setzen die Chemieindustrie unter Druck. Immer mehr Unternehmen prüfen, ob sich die Produktion in Deutschland noch lohnt. Besonders eindringlich hat zuletzt INEOS-Gründer Sir Jim Ratcliffe vor einem schleichenden Substanzverlust gewarnt. Europa – und speziell Deutschland – verliere zunehmend seine industrielle Wettbewerbsfähigkeit, erklärte der Unternehmer. Energie sei hier doppelt so teuer wie in den USA, Investitionen würden durch langwierige Genehmigungsverfahren und komplexe Vorschriften behindert. Ratcliffe fordert eine industriepolitische Kehrtwende: niedrigere Energiepreise, weniger Bürokratie und schnellere Genehmigungen. Nur so könne verhindert werden, dass sich immer mehr Chemieunternehmen aus Europa zurückziehen. Auch aus den Kommunen kommt deutliche Kritik an der derzeitigen Energie- und Klimapolitik. Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen mahnt, dass der größte Chemie-Standort Europas nur dann eine Zukunft habe, wenn die Energiepreise wieder planbar und wettbewerbsfähig werden. Eine verlässliche und transparente Energiepolitik sei dafür Voraussetzung. Insbesondere die Stadt Leverkusen steht exemplarisch für die Risiken einer einseitigen Wirtschaftsstruktur. Noch 2021 konnte die Stadt mit gesenktem Gewerbesteuersatz steigende Einnahmen verzeichnen. Doch die Verluste des Bayer-Konzerns reißen nun ein massives Loch in den Haushalt. Die Stadt will dennoch investieren – in nachhaltige Mobilität, Stadtgestaltung und eine breitere Wirtschaftsstruktur, um unabhängiger von der Chemie zu werden. Auch in Ludwigshafen, dem BASF-Stammsitz, steht die Industrie vor tiefgreifenden Einschnitten. Der Konzern will bis 2026 jährlich eine Milliarde Euro einsparen. Konzernchef Markus Kamieth fordert von der Politik wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, während Betriebsratschef Sinischa Horvat von großer Ungewissheit unter den Beschäftigten spricht. Die chemische Industrie steht für hohe Gewerbesteuereinnahmen, überdurchschnittliche Einkommen und starke Zuliefernetzwerke. Ihr Abschwung wirkt daher unmittelbar auf kommunale Haushalte, Arbeitsmärkte und Investitionen. „Was einmal weg ist, kommt nicht zurück“, warnte IGBCE-Chef Michael Vassiliadis. Kommunen können die strukturellen Veränderungen nicht aufhalten, aber abfedern. Entscheidend ist, die Wirtschaftsstruktur breiter aufzustellen, interkommunal enger zu kooperieren, potenzielle Gewerbesteuerausfälle frühzeitig zu erkennen und den Dialog mit ansässigen Unternehmen zu intensivieren. Eine aktive Standortpolitik mit Fokus auf zukunftsfähige Branchen wird zur Kernaufgabe kommunaler Wirtschaftsförderung. Die Chemiekrise macht deutlich, dass Standortpolitik längst Teil der kommunalen Daseinsvorsorge geworden ist – und dass Energie- und Industriepolitik nicht nur über Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch über die Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden entscheiden. (DEKOM, 10.11.2025) Aktuelle Ifo KU – Chemie hier…

 

McAllister zum Fortgang des EU-Beitrittsprozess BiH: „Entscheidend ist, ob Verwaltung funktioniert“

Im ersten Teil des Interviews hat David McAllister, außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, dargelegt, warum der EU-Beitrittsprozess von Bosnien und Herzegowina vor allem an der Funktionsfähigkeit des Staates gemessen wird. Entscheidend ist, ob die Verwaltung tatsächlich funktioniert – ob Entscheidungen getroffen werden, ob Zuständigkeiten klar sind und Verfahren eingehalten werden. Nur dann erreicht europäische Politik die Bürger im Alltag. Im zweiten Teil beschreibt McAllister die nächsten Schritte: Welche Reformen stehen an? Wie verbindlich sind die Zeitpläne der EU? Und welche Konsequenzen haben politische Blockaden, insbesondere aus der Republika Srpska? Seine zentrale Botschaft: Fortschritt entscheidet sich nicht an Absichtserklärungen, sondern daran, ob Reformen tatsächlich umgesetzt werden.

 

DEKOM: Welche konkreten Schritte müssen in den kommenden Monaten sowohl von bosnischer als auch von EU-Seite unternommen werden, um den Prozess wieder in Bewegung zu bringen? Gibt es bereits festgelegte Meilensteine oder Prüftermine, etwa einen neuen Bericht der Europäischen Kommission, der richtungsweisend sein wird?

 

McAllister: Der wichtigste nächste Meilenstein im EU-Beitrittsprozess sind die im November erwarteten Fortschrittsberichte der Europäischen Kommission. Die Berichte bewerten den Stand der Reformen in allen Kandidaten- und potentiellen Kandidatenländern. Sie bieten eine umfassende Bestandsaufnahme, ergänzt durch konkrete Empfehlungen und Prioritäten für die nächsten Schritte. Der Bericht der Kommission wird zeigen, in welchen Bereichen Bosnien und Herzegowina die Voraussetzungen für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen bereits erfüllt – und wo zusätzliche Anstrengungen notwendig sind, um die nächsten entscheidenden Schritte zu gehen.

 

DEKOM: In unserem Gespräch 2023 betonten Sie, dass der EU-Beitritt eines der Schlüsselthemen sei, ‚bei dem alle drei großen ethnischen Gruppen einen Konsens gefunden haben‘. Wie ist die Stimmung heute in der bosnisch-herzegowinischen Bevölkerung? Gibt es Anzeichen für wachsende EU-Skepsis oder Frustration über die Langsamkeit des Prozesses – und unterscheidet sich die Haltung zwischen den verschiedenen Landesteilen und ethnischen Gruppen?

 

McAllister: In Bosnien und Herzegowina ist die Unterstützung für den europäischen Weg weiterhin bemerkenswert hoch. Nach den jüngsten Umfragen vertrauen 72 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union, und 84 Prozent sind überzeugt, dass eine EU-Mitgliedschaft ihrem Land mehr Vorteile als Nachteile bringen würde. Diese Zahlen belegen, dass die europäische Perspektive ein übergreifender gesellschaftlicher Konsens bleibt – unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit oder regionalen Unterschieden. Gleichzeitig ist ein gewisses Maß an Ernüchterung spürbar. Viele Menschen sehen die Langsamkeit des Prozesses nicht als Versäumnis der Europäischen Union, sondern als Folge innenpolitischer Blockaden und mangelnder Entschlossenheit in Sarajevo. 43 Prozent der Befragten nennen den fehlenden politischen Willen im Land als eines der größten Hindernisse für den Fortschritt. Diese Einschätzung unterstreicht, dass die Verantwortung bei den politischen Akteuren liegt, die Erwartungen der Menschen zu erfüllen und die notwendigen Reformen konsequent umzusetzen. Der europäische Weg bleibt der wirksamste Rahmen, um die Hoffnungen der Menschen auf Stabilität, Wohlstand und funktionierende Institutionen zu erfüllen. Entscheidend ist, dass der Beitrittsprozess auf funktionierenden demokratischen Institutionen, Rechtsstaatlichkeit und dem Schutz der Grundrechte aufbaut. Fortschritt kann nur durch konstruktives Handeln erreicht werden – nicht durch Blockaden oder politische Polarisierung.  Bosnien und Herzegowina verfügt über das Potential, den eingeschlagenen europäischen Kurs erfolgreich fortzusetzen. Dafür braucht es jetzt politischen Pragmatismus, institutionelle Stabilität und die Bereitschaft aller Seiten, gemeinsam Verantwortung für die europäische Zukunft des Landes zu übernehmen.

 

DEKOM: Damals lobten Sie die Vorsitzende des Ministerrats, Borjana Krišto, für ihren politischen Mut bei den Reformen. Wie bewerten Sie das Agieren der derzeit politisch Verantwortlichen in Sarajevo und den Entitäten? Sehen Sie echten Reformwillen oder eher ein Lavieren zwischen EU-Anforderungen und innenpolitischen Rücksichten? Und wie schätzen Sie insbesondere die anhaltend sezessionistische Rhetorik aus der Republika Srpska ein – ist das ein unüberwindbares Hindernis für den EU-Beitritt?

 

McAllister: Die Entscheidung des Europäischen Rates, im Dezember 2022 Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina zu eröffnen, war eine Anerkennung der Arbeit aller staatlichen Institutionen – insbesondere des Ministerrats unter der souveränen Führung von Borjana Krišto. Sie hat in einer schwierigen politischen Umgebung entscheidende Reformen vorangebracht und damit den europäischen Kurs des Landes gefestigt. Dennoch hat sich die anfänglich positive Dynamik im vergangenen Jahr abgeschwächt. Zwar werden weiterhin Gesetze verabschiedet, doch die politische Polarisierung und Blockaden auf institutioneller Ebene hemmen den notwendigen Fortschritt. Bosnien und Herzegowina befindet sich erneut in einem fragilen politischen Umfeld. Besonders besorgniserregend sind die verfassungswidrigen und sezessionistischen Bewegungen innerhalb der Republika Srpska. Das Europäische Parlament hat wiederholt die spalterische und nationalistische Rhetorik in Banja Luka verurteilt. Das steht im klaren Widerspruch zu den europäischen Werten und gefährdet die Glaubwürdigkeit des gesamten Beitrittsprozesses. Generell sehe ich den wachsenden Einfluss externer Akteure, die versuchen, die europäische Integration des Landes zu untergraben, mit Sorge. Das Europäische Parlament hat im Juli deutlich gemacht, dass es keine Toleranz gegenüber Hassrede, ethnischer Spaltung, Geschichtsrevisionismus oder der Leugnung von Kriegsverbrechen geben darf. Wir unterstützen gezielte Sanktionen gegen all jene, die durch ihr Handeln die Stabilität und europäische Zukunft Bosnien Herzegowinas gefährden – namentlich gegen Milorad Dodik und andere Verantwortliche, die mit Blockaden und Angriffen auf staatliche Institutionen bewusst den Reformprozess sabotieren. Die rechtskräftige Verurteilung von Herrn Dodik ist zu respektieren. Unabhängige Gerichte und ihre Entscheidungen zu achten ist Grundvoraussetzung für jeden Beitrittskandidaten. Jetzt kommt es darauf an, dass die politischen Akteure in Bosnien und Herzegowina Verantwortung übernehmen und die Chancen nutzen, die der EU-Beitrittsprozess bietet. Fortschritt kann nur durch konstruktives Handeln, institutionelle Stabilität und den gemeinsamen Willen aller Seiten entstehen, Reformen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger umzusetzen.

 

DEKOM: Vielen Dank!

 

Die Fortschrittsberichte der Europäischen Kommission werden für Ende November erwartet. Sie werden zeigen, ob Bosnien und Herzegowina die Voraussetzungen für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen erfüllt. Das Gespräch führte Guido Mumm. (DEKOM, 10.11.2025)

 

Zur Person

David McAllister ist CDU-Politiker und seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments sowie seit 2017 Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten. Er war von 2010 bis 2013 Ministerpräsident von Niedersachsen und zuvor kommunalpolitisch aktiv, unter anderem als Bürgermeister von Bad Bederkesa. (DEKOM, 10.11.2025)  Mehr Infos zu David McAllister hier…

 

Algorithmen im Wahlkampf: Verzerrte Sichtbarkeit gefährdet politische Ausgewogenheit

Empfehlungsalgorithmen sozialer Netzwerke beeinflussen zunehmend, welche politischen Botschaften junge Menschen im Wahlkampf erreichen. Eine aktuelle Studie der Universität Potsdam in Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung zeigt: Parteien der politischen Mitte sind in den Feeds junger Nutzerinnen und Nutzer deutlich seltener sichtbar als Parteien an den Rändern. Selbst wenn CDU/CSU oder SPD häufiger posten, erscheinen ihre Beiträge deutlich seltener in den Social-Media-Feeds. Im Rahmen der Untersuchung „Digitalisiert, politisiert, polarisiert?“ wurden über 2,6 Millionen Videos auf TikTok, Instagram, YouTube und X im Zeitraum vom 1. Januar bis 23. Februar 2025 analysiert. Die SPD stellte mit 24,1 Prozent den größten Anteil der hochgeladenen Videos, wurde aber nur zu 14,1 Prozent in den Feeds junger Nutzerinnen und Nutzer angezeigt. Ähnlich die CDU/CSU: 17,1 Prozent der Beiträge, aber nur 4,9 Prozent Sichtbarkeit. Parteien an den politischen Rändern hingegen profitierten deutlich. Die AfD erreichte mit 21,5 Prozent der Videos einen Feed-Anteil von 37,4 Prozent – nahezu eine Verdopplung. Die Linke konnte ihre Sichtbarkeit sogar verdreifachen, von 9,7 Prozent der Beiträge auf 27,6 Prozent der angezeigten Inhalte. Besonders auffällig: Politische Videos mit Bezug zur AfD wurden den Nutzerprofilen am schnellsten vorgeschlagen. Innerhalb von durchschnittlich zwölf Minuten erschien auf neu angelegten TikTok-Accounts erstmals ein Video mit dem Hashtag #afd. Ein Beitrag mit #spd wurde dagegen erst nach rund 70 Minuten angezeigt. Über alle Plattformen hinweg entfielen etwa die Hälfte der parteibezogenen Inhalte auf AfD-Videos. Die Studienautorinnen Amber Jensen und Kira Schrödel von der Bertelsmann Stiftung betonen, dass sich die Ursachen für die ungleiche Sichtbarkeit nicht eindeutig erklären lassen. Interaktionsmetriken wie Likes, Kommentare oder Views spielten zwar eine Rolle, reichten aber nicht aus, um die deutlichen Unterschiede zu begründen. Entscheidend sei die Intransparenz der Plattform-Algorithmen. Diese bestimmten, was jungen Menschen überhaupt begegnet – und damit, welche Themen politische Aufmerksamkeit erhalten. Für Kommunen und kommunalpolitische Akteure hat die Untersuchung eine besondere Relevanz. Junge Wählerinnen und Wähler informieren sich zunehmend in sozialen Medien über Politik – nicht mehr über klassische Presse oder öffentliche Veranstaltungen. Wenn aber digitale Feeds Parteien und Positionen der Mitte seltener anzeigen, droht ein verzerrtes Bild politischer Vielfalt. Das kann nicht nur bundespolitische Wahlkämpfe beeinflussen, sondern auch kommunale Diskurse und Beteiligungsprozesse. Kommunale Öffentlichkeitsarbeit und politische Bildung stehen damit vor einer neuen Herausforderung. Digitale Kanäle müssen stärker genutzt werden, um junge Zielgruppen zu erreichen. Gleichzeitig braucht es mehr Bewusstsein für algorithmische Mechanismen: Kommunen können über Schulen, Jugendparlamente oder Volkshochschulen zur Stärkung digitaler Medienkompetenz beitragen. Auch Wahlämter und kommunale Wahlleitungen könnten bei künftigen Wahlen stärker auf digitale Informationsstrategien setzen. Die Studie formuliert drei zentrale Empfehlungen: Kurzfristig sollten bislang unterrepräsentierte Akteure – darunter Parteien der Mitte und kommunale Institutionen – ihre Präsenz auf Plattformen wie TikTok ausbauen und dort auf respektvolle, dialogorientierte Kommunikation setzen. Mittelfristig gilt es, digitale Bildung und Feed-Selbstbestimmung zu stärken, damit junge Menschen algorithmische Prozesse besser verstehen. Langfristig braucht es verbindliche Transparenzpflichten für Plattformen, um demokratische Ausgewogenheit im digitalen Raum zu sichern. Soziale Medien sind für viele junge Menschen die wichtigste Informationsquelle zur Politik – doch ihre Inhalte entstehen nicht zufällig. Wenn Algorithmen radikalere Positionen bevorzugen und moderate Stimmen seltener sichtbar machen, kann das die politische Kultur nachhaltig verändern. Für Kommunen heißt das: Digitale Demokratiearbeit wird zur Daueraufgabe – als Teil politischer Bildung, als Instrument der Öffentlichkeitsarbeit und als Beitrag zur Stärkung der demokratischen Mitte. (Bertelsmann-Stiftung, 03.11.2025) Ganzer Artikel hier…