Energiewende auf der Kippe: Fachkräfte werden zum Engpass
Während in anderen Wirtschaftszweigen Tausende von Arbeitsplätzen abgebaut werden, kämpft der Energiesektor verzweifelt um qualifiziertes Personal. Eine aktuelle Analyse von LinkedIn enthüllt, dass es sowohl in Deutschland als auch weltweit an qualifizierten Fachkräften mangelt, um die vereinbarten Klimaziele zu verwirklichen. Inmitten der Energiekrise gewinnt der Ausbau erneuerbarer Energien zunehmend an Bedeutung. Doch stellt sich die Frage, ob ausreichend Fachkräfte dafür verfügbar sind. Um die Ziele des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Bereich Wind- und Solarenergie bis zum Jahr 2030 zu erreichen und einen beschleunigten Ausbau dieser Energiequellen voranzutreiben, ist es unerlässlich, auch die Anzahl der qualifizierten Fachkräfte in diesen Bereichen zu erhöhen. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu rekrutieren, die den hohen Anforderungen gerecht werden können. Dies kann zu Verzögerungen bei Projekten und höheren Kosten führen. Der Fachkräftemangel führt teilweise dazu, dass entscheidende Projekte nicht umgesetzt werden können, was wiederum die Fortschritte in Richtung Energiewende beeinträchtigen könnte. „Die Auswertung unserer Daten zeigt, dass weltweit und in allen Branchen grüne Fachkräfte fehlen. Unternehmen schaffen zwar zunehmend grüne Arbeitsplätze, aber es gibt schlicht nicht genügend qualifizierte Fachkräfte, um diese Stellen zu besetzen und unseren Bedarf langfristig zu decken. Unsere Daten zeigen zwar, dass LinkedIn Mitglieder ihren Profilen zunehmend grüne Kompetenzen hinzufügen, aber dies geschieht nicht schnell genug. Damit wir unsere Klimaziele erreichen können, müssen klimapolitische Maßnahmen von umfassenden Schulungs- und Ausbildungsprogrammen begleitet werden, die von Unternehmen aktiv gefördert werden“, kommentiert Barbara Wittmann, Country Managerin bei LinkedIn DACH Ergebnisse der Untersuchung. Grundsätzlich weist Deutschland im Bereich grüner Fachkräfte eine solide Basis auf: Mit einem Anteil von 16,8 % aller Berufstätigen gehört Deutschland zu den Ländern mit den höchsten Anteilen an grünen Talenten – nur Österreich (17,6 %) weist einen höheren Anteil auf. Dennoch ist der Anteil der grünen Talente in Deutschland in den letzten fünf Jahren im Durchschnitt nur um 5,0 % pro Jahr gestiegen. Im Vergleich dazu verzeichneten andere Länder wie Frankreich (7,4 %), das Vereinigte Königreich (5,7 %) oder die USA (5,4 %) einen etwas stärkeren Anstieg. Das bedeutet, dass, obwohl der Anteil grüner Talente weltweit kontinuierlich wächst, dieser Fortschritt nicht schnell genug erfolgt, um der steigenden Nachfrage der grünen Wirtschaft gerecht zu werden. Gleichzeitig verdeutlichen Daten von LinkedIn, dass es in der grünen Wirtschaft nicht nur an qualifizierten Fachkräften mangelt, sondern auch eine Unterrepräsentation von Frauen im sogenannten grünen Talentpool besteht. Weltweit machen Frauen lediglich ein Drittel (33 %) der grünen Talente aus, wobei der Frauenanteil in Deutschland mit 25 % sogar noch geringer ist. Im Gesamten verfügt in Deutschland nur etwa jede achte Frau (12,3 %) unter allen Arbeitnehmern über grüne Fähigkeiten oder Berufserfahrung, verglichen mit gut einem Fünftel der Männer (21,8 %). Mit einem Unterschied von 9,5 Prozentpunkten ist der grüne Gender Gap in Deutschland nicht nur der größte (gefolgt von den Vereinigten Arabischen Emiraten mit 8,4 %), sondern wächst auch besonders schnell. Seit 2016 ist der grüne Gender Gap in Deutschland um 2,9 Prozentpunkte gestiegen, verglichen mit einem Wachstum von 2,7 Prozentpunkten in Frankreich und 1,4 Prozentpunkten im Vereinigten Königreich. Die Kluft zwischen den Geschlechtern in Führungspositionen sei dieser Untersuchung zufolge sogar noch ausgeprägter – es bildet sich eine sogenannte „Green Ceiling“. In den Erneuerbaren Energien, einer der Branchen, die die grüne Transformation maßgeblich vorantreiben, liegt der Frauenanteil in Führungspositionen weltweit bei 25 %, im Vergleich zu 31 % in anderen Branchen. Deutschland hinkt mit einem Frauenanteil von 18 % in Führungspositionen im Bereich Erneuerbare Energien deutlich hinter dem weltweiten Durchschnitt zurück. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Bereich erneuerbare Energien liegt in Frankreich bei 33 %, im Vereinigten Königreich bei 22 % und in den USA bei 25 %. „Die grüne Wirtschaft bietet bereits jetzt und langfristig sehr gute Karrierechancen, an denen auch Frauen und andere marginalisierte Gruppen auf dem Arbeitsmarkt teilhaben sollten. Um die Green Ceiling einzureißen und zu verhindern, dass der Gender Gap langfristig gesamtgesellschaftlich wieder stärker wächst, müssen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dringend Barrieren abbauen und allen Arbeitnehmer*innen Zugang zur grünen Wirtschaft und zu grünen Jobs ermöglichen”, sagte die Expertin. Eine immer bedeutendere Rolle bei der Erhöhung des Frauenanteils in den Unternehmensführungen kommt Headhuntern und Personalberatungsfirmen zu – und in allen Branchen und Bereichen in denen Frauen immer noch unterrepräsentiert sind. Dazu zählt zweifellos die Energiewirtschaft. Die weitaus überwiegende Zahl der Stadtwerke und kommunaler Versorgungsunternehmen sind hierzulande noch fest in Männerhand, weiß Jonathan Lichter, Geschäftsführer der auf die Personalberatung im Energiesektor spezialisierten Callidus Energie: „Vorstände in EVU sind häufig Ingenieure und das Studium der Ingenieurswissenschaften ist nach wie vor männerdominiert – gerade in der Elektrotechnik, auch wenn sich da ein bisschen was tut.“ Bei Callidus Energie legen wir deshalb ein besonderes Augenmerk darauf, Frauen für Führungspositionen im Bereich der Energiewirtschaft zu gewinnen, so Lichter weiter: „Wir sind mittendrin in einer gigantischen Transformation, die nicht zuletzt auch tief in die Unternehmenskultur hineinwirkt. Da geht es um Themen wie Hierarchieabbau, Offenheit für Innovationen und Empathie, um Talente zu entwickeln. Das sind alles sind alles Themen, die gerade Frauen sehr gut voranbringen können. Sowohl unterschiedliche Studien, als auch unsere Erfahrungen aus der Vermittlungspraxis belegen eindeutig, dass Unternehmen nachhaltig erfolgreicher sind, wenn mehr Frauen Führungsverantwortung innehaben und so den Ausbau von Infrastruktur und Geschäft maßgeblich prägen. So können weibliche Führungskräfte den Abbau starrer Hierarchien fördern und gleichzeitig die intrinsische Motivation der Mitarbeiterinnen wie Mitarbeiter entfachen.“ Mit anderen Worten: Es besteht ein dringender Handlungsbedarf, der nicht allein in der Verantwortung der Regierungen liegt, die Förderung von Ausbildung, Umschulung und Weiterbildungen zu intensivieren. Auch Unternehmen und Arbeitnehmer sind aufgefordert, aktiv zu werden. Unternehmen sollten genau evaluieren, welche grünen Fähigkeiten sie für die Realisierung ihrer Klimaziele benötigen, und potenzielle Qualifikationslücken durch gezielte Weiterbildungsmaßnahmen sowie kompetenzbasiertes Recruiting gezielt schließen. (Ingenieur/DEKOM, 11.02.2024/22.04.2024) Ganzer Artikel hier…