Kommunen in der Cloud: Transparenz und technologische Souveränität durch Beschaffungskooperationen
Die Digitalisierung stellt Kommunen und die öffentliche Hand vor immense Herausforderungen. Gerade die Nutzung von Cloud-Lösungen wird immer zentraler, um moderne Dienstleistungen bereitzustellen und Prozesse zu optimieren. Doch mit dieser Entwicklung wachsen auch Abhängigkeiten von großen Cloud-Anbietern – den sogenannten Hyperscalern – und damit die Notwendigkeit, sich mit Themen wie Kostenkontrolle, Vertragsbedingungen und Transparenz auseinanderzusetzen. Im DEKOM Interview erklärt der Jurist und ehemalige Vizedirektor der Schweizer Wettbewerbskommission (WEKO), Professor Patrick Krauskopf, was wir in Deutschland von der Schweiz in diesem Zusammenhang lernen können, warum in Beschaffungskooperationen und Bündelung der Marktmacht ein wesentlicher Hebel für die Kommunen liegt und wie solche Kooperationen zu technologischer Souveränität beitragen können.
Herr Professor Krauskopf, in Deutschland wird zunehmend die mangelnde Transparenz hinsichtlich der Bedingungen und Kosten bei der Cloudnutzung durch Verwaltungen und Unternehmen der öffentlichen Hand beklagt. Die Schweiz wird häufig als Beispiel dafür genannt, wie es besser gehen kann. Was macht die Schweiz im Umgang mit den Hyperscalern anders?
Es gibt entscheidende Unterschiede im regulatorischen Ansatz. In der Schweiz haben wir ein ex-post orientiertes System im Kartellrecht, was bedeutet, dass Wettbewerbsbehörden nicht bei möglichen Anzeichen eines potenziellen Marktmachtmissbrauchs eingreifen, sondern erst nach einer vertieften Untersuchung. Ist offensichtlich, dass ein Marktmachtmissbrauch droht, erlässt das Schweizer Kartellamt zeitnah Maßnahmen, mit den ein irreparabler Schaden von der Volkswirtschaft vorsorglich abgewendet werden kann. Die Schweiz unterstellt nicht präventiv eine marktbeherrschende Stellung, wie es zum Beispiel im Digital Markets Act (DMA) der EU oder durch das deutsche Bundeskartellamt der Fall ist. Fehlregulierungen verursacht durch überstürzten Aktionismus des Kartellamtes entsprechen nicht der Schweizer DNA.
Im Gegensatz dazu hat etwa das deutsche Bundeskartellamt die Möglichkeit, bereits präventiv gegen Unternehmen vorzugehen, die sie als marktbeherrschend einstufen. Diese ex-ante-Maßnahme erlaubt es, dass bestimmte Unternehmen schon im Vorfeld einer Markteintrittsbeschränkung oder eines Missbrauchs durch Verhaltensvorgaben reguliert werden. In der EU verfolgt man einen ähnlichen Ansatz, wobei der DMA explizit für digitale Märkte geschaffen wurde, um größere Unternehmen, die als sogenannte „Gatekeeper“ fungieren, vorab zu regulieren.
Die Schweizer Wettbewerbsbehörden agieren nach meinem Dafürhalten agiler und sind – obschon ex lege nicht präventiv intervenierend – nicht weniger effektiv; ganz im Gegenteil. Die Schweizer Wettbewerbsbehörde, die WEKO, ist bekannt dafür, im direkten Kontakt Verpflichtungszusagen bei Unternehmen einzufordern, die auf den Schweizer Markt tätig sind. Diese werden oft schneller durchgesetzt, weil die administrativen und verfahrensrechtlichen Prozesse in der Schweiz doch effizienter sind als in größeren Märkten wie Deutschland oder der EU.
Ein weiterer Aspekt, der in der Schweiz einen Unterschied macht, liegt darin, dass kartellbehördliche Maßnahmen von der Politik meistens mitgetragen, bisweilen auch eingefordert werden. Die veröffentlichte politisch Erwartung gegenüber marktbeherrschenden IT-Unternehmen, etwa wenn es um Lizenzgebühren und marktverzerrende Praktiken geht, sich kartellrechtskonform zu verhalten, ist sicherlich nicht zu unterschätzen. In einem Land wie der Schweiz, mit einem bürger- und unternehmensnahen und deshalb sehr gut vernetzten politischen System, ist der Weg zum Parlament und zur Regierung kürzer, was es der Wettbewerbsbehörde erleichtert, direkt auf Unternehmen einzuwirken.
Zusätzlich kommen die globalen Perspektiven ins Spiel: Wenn in den USA, der EU oder Australien bereits Maßnahmen gegen ein Unternehmen ergriffen wurden, fordert die WEKO, dass diese auch auf die Schweiz ausgeweitet werden. Dies ist ein pragmatischer Ansatz, um ohne eigene umfassende Verfahren schneller und effizienter gegen wettbewerbswidriges Verhalten vorzugehen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Wettbewerbsansatz in der Schweiz im Vergleich zu Deutschland und der EU eine andere Dynamik aufweist. Die Schweiz verfolgt einen zwar reaktiveren ex-post Ansatz, aber durch ihre Flexibilität, das engere Zusammenspiel von Behörden und Politik sowie die Möglichkeit, sich auf internationale Verpflichtungen zu stützen, kann sie ebenfalls zielgenaue Eingriffe vornehmen, insbesondere wenn es um die Kontrolle von Hyperscalern und marktbeherrschenden Positionen geht.
Häufig heißt es von Nutzerseite, dass die AGBs der Cloudanbieter die Weitergabe von Details zu Preisen und Leistungen strikt untersagen. Insofern werden Vergleichsmöglichkeiten von vornherein ausgeschlossen. Entzieht sich die Cloudnutzung der öffentlichen Hand so nicht der parlamentarischen Kontrolle?
Solche Details in den AGBs erschweren oder verhindern natürlich eine echte parlamentarische Kontrolle. In vielen Fällen, gerade bei größeren Cloud-Anbietern, wird eine gewisse Intransparenz bewusst in Kauf genommen, da diese Unternehmen starke Verhandlungspositionen haben. Für die öffentliche Hand, insbesondere auf lokaler oder regionaler Ebene, können ungünstige Verträge ein schwerwiegendes Problem mit langfristigen Auswirkungen auf ihre IT-Infrastruktur und ihre Wettbewerbsfähigkeit darstellen.
Natürlich gibt es Möglichkeiten, die erforderliche Transparenz zu schaffen. Etwa dadurch, dass die öffentliche Hand von Anfang an bei der Ausschreibung von Cloud-Diensten bestimmte Anforderungen an Transparenz stellt, etwa dass Informationen über Preis- und Leistungsstrukturen veröffentlicht werden müssen und dass Klauseln, die eine Vergleichbarkeit der Angebote behindern, von vorherein unzulässig sind.
In der Praxis ist allerdings die politische Dimension nicht zu unterschätzen. Es kommt immer wieder vor, dass derartige Verträge von politischen Entscheidungsträgern mit dem Ziel abgeschlossen werden, Arbeitsplätze zu schaffen oder Investitionen in der Region zu fördern – etwa durch die Ansiedlung von Rechenzentren großer Cloud-Anbieter. Die Priorisierung von politischen Zielen erschwert es, sich gegen die Marktbedingungen der Anbieter zu stellen. Aber es gibt auch Ansätze, wie man die Verhandlungsbedingungen verbessern kann. Wenn mehrere kleine Kommunen oder Behörden sich zusammenschließen, können sie gemeinsam mit Anwälten oder Wettbewerbsbehörden die AGBs prüfen und gegebenenfalls nachverhandeln.
Schließlich könnten die Kartellbehörden, wie das Bundeskartellamt in Deutschland oder die Wettbewerbsbehörde in der Schweiz, verstärkt auf Kooperation setzen, um grenzüberschreitend zu prüfen, ob solche Vereinbarungen wettbewerbswidrig sind. Wenn ein Cloud-Anbieter seine Marktstellung ausnutzt, um intransparent und unfaire Vertragsbedingungen durchzusetzen, könnten diese Behörden gemeinsam eingreifen, um sicherzustellen, dass auch die öffentliche Hand fair behandelt wird. Dies könnte durch die Förderung von Best Practices und Transparenz in den Ausschreibungen geschehen, aber auch durch gezielte Aufklärung und Unterstützung bei der rechtlichen Überprüfung von Verträgen.
Zusammengefasst: Um Transparenz in Cloud-Nutzungsverträgen zu schaffen, sollten öffentliche Institutionen verstärkt auf gemeinsame Beschaffungsplattformen setzen, die rechtlichen Rahmenbedingungen für Verträge anpassen und, wo nötig, die Unterstützung von Wettbewerbsbehörden und Anwälten suchen. Nur so kann verhindert werden, dass kleinere Akteure, wie Kommunen, ungünstige AGBs unterzeichnen und sich in eine langfristige Abhängigkeit von wenigen großen Anbietern begeben.
Was kann Deutschland in Sachen Transparenz bei der Cloudnutzung der öffentlichen Verwaltung von der Schweiz lernen?
Die Schweiz bietet in Bezug auf die Beschaffung und den Umgang mit großen Cloud-Anbietern oder IT-Diensten durchaus Ansätze, die auch für Deutschland, insbesondere für Kommunalpolitiker, von Interesse sein könnten.
Ein zentraler Punkt ist die Bildung von Einkaufs- und Beschaffungskooperationen. In der Schweiz hat man erkannt, dass kleinere Kommunen, Kantone oder Städte durch eine gemeinsame Beschaffungskraft ihre Verhandlungsposition gegenüber den großen IT-Anbietern erheblich verbessern können. Das bedeutet, dass diese kleinen Akteure nicht isoliert verhandeln müssen, sondern durch eine gemeinsame Nachfrage und gebündelte Kräfte als eine Einheit auftreten können. Eine solche Kooperation kann nicht nur bessere Preise und Konditionen sichern, sondern auch die Transparenz und Fairness in den Verträgen steigern. Nicht zuletzt erleichtert eine Bündelung der Ressourcen rechtliche Überprüfungen, was wiederum die Verhandlungsposition stärkt.
Für Deutschland, speziell auf kommunaler Ebene, bedeutet das, dass auch hier die Bildung von Kooperationsmodellen zwischen Kommunen ein strategischer Schritt wäre, um sich gegen die überlegene Marktstellung großer Anbieter wie Microsoft zu behaupten. Gerade kleinere Städte oder ländliche Regionen, die oft wenig Verhandlungsmacht haben, könnten von solchen Modellen profitieren. Sie könnten durch eine gemeinsame Initiative eine Art „Gegenmacht“ aufbauen, die nicht nur für bessere Vertragskonditionen sorgt, sondern auch dafür, dass ihre Bedürfnisse und Anforderungen ernst genommen werden.
Technologie-Souveränität ist hierbei ein zentrales Ziel. Wenn Deutschland durch solche Kooperationen langfristig die Abhängigkeit von ausländischen Anbietern mindern und die technologische Souveränität der öffentlichen Verwaltung stärken möchte, wären diese Schritte entscheidend. Eine solche Ausrichtung könnte dazu beitragen, dass auch europäische Regelungen wie der DMA unterstützt werden und Deutschland die digitale Unabhängigkeit befördert. Der Aufbau solcher Kooperationen trägt zur technologischen Souveränität der öffentlichen Verwaltung bei und mindert die Abhängigkeit von ausländischen Anbietern langfristig. Diese Thematik könnte zudem mit den EU-Bemühungen zur digitalen Unabhängigkeit verknüpft werden.
Insgesamt könnte Deutschland von der Schweiz lernen, wie durch kooperative Beschaffungsinitiativen die Verhandlungsposition gegenüber großen Anbietern gestärkt wird. Kommunalpolitiker sollten solche Modelle prüfen und sich aktiv für eine verstärkte Zusammenarbeit einsetzen, um eine faire und nachhaltige Lösung in der öffentlichen IT-Beschaffung zu fördern.
Vor diesem Hintergrund führt das Zentrum für nachhaltige Transformation an der Quadriga-Hochschule in Berlin (zNT) unter Leitung von Prof. Dr. Torsten Oltmanns derzeit eine vielbeachtete – und hochaktuelle Umfrage bei Stadtwerken und kommunalen Unternehmen zu den Bedingungen und Kosten von Cloudnutzungen durch die öffentliche Hand durch. Die Umfrage soll zur Transparenz beitragen und eine solide Basis für tatsächliche Kosten- und Leistungsvergleiche bilden. Die Onlineumfrage ist anonym und dauert nicht länger als 5 bis 10 Minuten. IT-Verantwortliche von Stadtwerken und anderen öffentlichen Unternehmen können unter folgendem Link anonym daran teilnehmen: Umfrage zu den Auswirkungen von Softwarelizensierungspraktiken in der Cloud (DEKOM, 18.11.2024)