Schleswig-Holstein als Vorreiter für digitale Souveränität

Schleswig-Holstein hat als erstes deutsches Bundesland seine gesamte Landesverwaltung auf Open-Source-E-Mail-Systeme umgestellt – ein Schritt, der bundesweit Beachtung findet. Rund 40.000 Postfächer wurden in einem halben Jahr von Microsoft Exchange und Outlook auf Open-Xchange und Thunderbird migriert. Das Projekt markiert einen zentralen Meilenstein der Open Innovation und Open Source Strategie Schleswig-Holstein, mit der das Land digitale Abhängigkeiten von großen Tech-Konzernen beenden und seine digitale Souveränität sichern will.

Parallel ersetzt die Landes-IT Microsoft Office durch LibreOffice, nutzt Nextcloud als Plattform für die Zusammenarbeit, OpenTalk für Videokonferenzen und testet den Einsatz von Linux als Betriebssystem. Auch die Telefonie soll künftig auf offene Lösungen umgestellt werden.

Im Interview mit dem Deutschen Kommunalinformationsdienst (DEKOM) erläutert Digitalminister Dirk Schrödter (CDU), wie weit Schleswig-Holstein auf dem Weg zur digitalen Unabhängigkeit ist, welche Lehren sich aus der Großumstellung ziehen lassen – und warum Open Source auch für Kommunen, etwa bei der Wärmeplanung, eine echte Zukunftsperspektive bietet.

DEKOM: Wo stehen Sie aktuell mit der Einführung der neuen E-Mail- und Office-Programme?

Schrödter: Wir haben in unserer Landesverwaltung am 2. Oktober den Umstieg des Mailsystems von Microsoft Exchange und Outlook auf die Open-Source-Lösungen Open-Xchange und Thunderbird vollständig vollzogen – damit endet ein sechsmonatiger Umstellungsprozess mit mehr als 40.000 Postfächern mit insgesamt deutlich mehr als 100 Millionen E-Mails und Kalendereinträgen. Wir sind dadurch in Schleswig-Holstein dem Ziel eines digital souveränen IT-Arbeitsplatzes ein großes Stück nähergekommen. Wir wollen unabhängig werden von großen Tech-Konzernen und die digitale Souveränität sicherstellen. Jetzt können wir auch bei der E-Mail-Kommunikation sagen: Mission erfüllt. Bereits im vergangenen Jahr hatten wir damit begonnen, LibreOffice als neue Standard-Bürosoftware auszurollen und Microsoft Office zu ersetzen. Mit der aktuellen Umstellung des Mailsystems wird jetzt auch schrittweise MS Office von den Landesrechnern deinstalliert.

Übrigens: Unsere Open Innovation und Open Source Strategie Schleswig-Holstein umfasst weitere Bereiche der Landes-IT: Die Software Nextcloud ersetzt Schritt für Schritt Microsoft SharePoint als zentrale Plattform für Zusammenarbeit und wird bereits in zahlreichen Verwaltungen aktiv genutzt. Bei den Videokonferenzen setzt das Land auf die Lösung OpenTalk. Auch wird der Einsatz des Betriebssystems Linux als Alternative zu Windows erprobt. Schließlich sollen auch die Telefonsysteme umgestellt und mit einer Open-Source-Lösung betrieben werden. All das sind wichtige Bausteine auf dem Weg in die digitale Souveränität Schleswig-Holsteins – mit mehr Transparenz und Sicherheit für unsere Verwaltung sowie Innovationskraft für den Digitalstandort. Schleswig-Holstein ist schon jetzt digital unabhängiger, moderner und zukunftsfester geworden.

DEKOM: Wie stellt das Land sicher, dass die eingesetzte Open-Source-Software zuverlässig funktioniert und Sicherheitslücken schnell geschlossen werden? Welche Unterstützung erhalten Verwaltungen und ihre Mitarbeiter, damit die Umstellung im Alltag reibungslos gelingt?

Schrödter: Der konsequente schrittweise Umstellungsprozess der Landes-IT wurde über mehrere Jahre hinweg gemeinsam mit den Herstellern vorbereitet und in der „Open Innovation und Open Source Strategie Schleswig-Holstein“ beschrieben. Die Software wird sowohl auf den Arbeitsplätzen als auch serverseitig im Rechenzentrum bei unserem IT-Dienstleister regelmäßig auf Sicherheitslücken geprüft und aktualisiert. Im Gegensatz zu den üblichen proprietären Lösungen können durch die Einsehbarkeit des Quellcodes Sicherheitslücken schneller entdeckt und geschlossen werden. Zudem können unerwünschte Datenabflüsse verhindert werden.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können darüber hinaus auf eine Vielzahl von Tutorials, Anleitungen, E-Learning-Angeboten und auch klassischen Schulungen zurückgreifen. Während der Migration werden sie vor Ort unterstützt. Allein für Open-Xchange wurden 18 Lernvideos zur Verfügung gestellt. Die vergangenen Wochen und Monate haben zugleich gezeigt: Eine solche Umstellung ist keine Kleinigkeit. Wir sind echte Pioniere. Wir können nicht auf die Erfahrung anderer zurückgreifen – weltweit gibt es kaum ein vergleichbares Projekt dieser Größenordnung. Der große Dank gilt allen rund 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ohne ihre Unterstützung wäre diese Umstellung nicht möglich. Künftig können wir mit unseren Erfahrungswerten – von der Datenanalyse bis zum Monitoring im Rechenzentrum – anderen helfen und sie unterstützen, wenn sie sich auf den Weg machen, den wir gerade als erste beschreiten.

DEKOM: Schleswig-Holstein setzt stark auf offene Software und offene Daten. Wie stellen Sie sicher, dass unterschiedliche Programme und Fachverfahren künftig gut zusammenarbeiten und Kommunen nicht in neue Abhängigkeiten geraten?

Schrödter: Schleswig-Holstein ist ja mit dieser Umstellung nicht allein. Wir bemerken im IT-Markt einen zunehmenden Wandel hin zu Open-Source-Lösungen. Gerade durch den Einsatz von Open Source löst sich die öffentliche Verwaltung aus monopolhaften Abhängigkeiten und kann selbstbestimmt ihre Werkzeuge fortentwickeln. Offene Standards verhindern Abhängigkeiten. Anforderung an Lösungsanbieter, wie Fachverfahrenshersteller, wird zukünftig sein, ihre Lösungen mit offenen Schnittstellen und offenen Standards auszustatten. Viele Anbieter sind heute schon darauf eingerichtet.

DEKOM: Wie stellen Sie sicher, dass die neue Software sowohl den Datenschutz- und Sicherheitsanforderungen genügt als auch langfristig wirtschaftlich ist? Gibt es eine Gesamtrechnung, die zeigt, ob sich die Umstellung für das Land am Ende rechnet?

Schrödter: Das Vorurteil, Open Source sei unsicher, ist falsch: Professionelle Anbieter sorgen für verlässliche Weiterentwicklung, Communities entdecken Schwachstellen schneller. So stärken wir unsere IT-Sicherheit. Die Kernfrage ist zudem: Kann der Staat jederzeit die Hoheit über seine IT und Daten wahren? Bei US-Anbietern ist das nicht gewährleistet. US-Firmen unterliegen dem Patriot Act – sie können gezwungen werden, Daten herauszugeben, egal wo diese gespeichert sind. Die sogenannten Hyperscaler behalten sich außerdem vor, Metadaten zu analysieren oder in die USA zu transferieren. Darum setzen wir auf Open Source, betrieben vom IT-Dienstleister Dataport. Für jedes Produkt gibt es eigene Sicherheitskonzepte. Die Transparenz im Quellcode erhöht die Sicherheit.

Was wir tun, ist wirtschaftlich im Sinne davon, dass wir über einen gewissen Zeitraum weniger Mittel einsetzen. Im Moment geht es natürlich darum zu investieren. Wir müssen die Software an die spezifischen Bedürfnisse unserer Verwaltung anpassen. Und das zahlt sich dann nach einer gewissen Zeit aus, weil wir nicht ständig neue Lizenzen kaufen müssen. Aber darum geht es am Ende nicht. Wir müssen die digitale Souveränität für Schleswig-Holstein, für Deutschland, für ganz Europa sichern. Wir sollten uns nicht immer fragen, was digitale Souveränität kosten darf.

DEKOM: Viele Kommunen stehen vor der Aufgabe, eine Wärmeplanung zu erstellen. Unterstützt das Land offene digitale Lösungen, mit denen Städte und Gemeinden diese Planung selbst steuern und transparent umsetzen können?

Schrödter: Wir prüfen aktuell gemeinsam mit dem vom Land initiierten DigitalHub.SH, welche Open-Source-Ansätze für eine kommunale Wärmeplanung grundsätzlich geeignet wären.

Hintergrund:

Im Juli 2025 besuchte Digitalminister Dirk Schrödter den EBERO FAB Campus in Norderstedt, um sich über praxisnahe Anwendungen offener Standards in der kommunalen Infrastruktur zu informieren. Im Mittelpunkt stand die von EBERO FAB und Partnern entwickelte Urban Data Platform (UDP), die es Städten und Stadtwerken ermöglicht, Daten aus unterschiedlichen Quellen sicher, interoperabel und kommunal gesteuert zu nutzen. Das Beispiel verdeutlicht, wie sich die Open-Source-Strategie des Landes in konkreten Projekten vor Ort widerspiegelt – und wie technische Offenheit, Datensouveränität und kommunale Innovationskraft zusammenwirken können. (DEKOM, 13.10.2025) Mehr Infos hier…

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