McAllister zum Fortgang des EU-Beitrittsprozess BiH: „Entscheidend ist, ob Verwaltung funktioniert“

Im ersten Teil des Interviews hat David McAllister, außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, dargelegt, warum der EU-Beitrittsprozess von Bosnien und Herzegowina vor allem an der Funktionsfähigkeit des Staates gemessen wird. Entscheidend ist, ob die Verwaltung tatsächlich funktioniert – ob Entscheidungen getroffen werden, ob Zuständigkeiten klar sind und Verfahren eingehalten werden. Nur dann erreicht europäische Politik die Bürger im Alltag. Im zweiten Teil beschreibt McAllister die nächsten Schritte: Welche Reformen stehen an? Wie verbindlich sind die Zeitpläne der EU? Und welche Konsequenzen haben politische Blockaden, insbesondere aus der Republika Srpska? Seine zentrale Botschaft: Fortschritt entscheidet sich nicht an Absichtserklärungen, sondern daran, ob Reformen tatsächlich umgesetzt werden.

DEKOM: Welche konkreten Schritte müssen in den kommenden Monaten sowohl von bosnischer als auch von EU-Seite unternommen werden, um den Prozess wieder in Bewegung zu bringen? Gibt es bereits festgelegte Meilensteine oder Prüftermine, etwa einen neuen Bericht der Europäischen Kommission, der richtungsweisend sein wird?

McAllister: Der wichtigste nächste Meilenstein im EU-Beitrittsprozess sind die im November erwarteten Fortschrittsberichte der Europäischen Kommission. Die Berichte bewerten den Stand der Reformen in allen Kandidaten- und potentiellen Kandidatenländern. Sie bieten eine umfassende Bestandsaufnahme, ergänzt durch konkrete Empfehlungen und Prioritäten für die nächsten Schritte. Der Bericht der Kommission wird zeigen, in welchen Bereichen Bosnien und Herzegowina die Voraussetzungen für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen bereits erfüllt – und wo zusätzliche Anstrengungen notwendig sind, um die nächsten entscheidenden Schritte zu gehen.

DEKOM: In unserem Gespräch 2023 betonten Sie, dass der EU-Beitritt eines der Schlüsselthemen sei, ‚bei dem alle drei großen ethnischen Gruppen einen Konsens gefunden haben‘. Wie ist die Stimmung heute in der bosnisch-herzegowinischen Bevölkerung? Gibt es Anzeichen für wachsende EU-Skepsis oder Frustration über die Langsamkeit des Prozesses – und unterscheidet sich die Haltung zwischen den verschiedenen Landesteilen und ethnischen Gruppen?

McAllister: In Bosnien und Herzegowina ist die Unterstützung für den europäischen Weg weiterhin bemerkenswert hoch. Nach den jüngsten Umfragen vertrauen 72 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union, und 84 Prozent sind überzeugt, dass eine EU-Mitgliedschaft ihrem Land mehr Vorteile als Nachteile bringen würde. Diese Zahlen belegen, dass die europäische Perspektive ein übergreifender gesellschaftlicher Konsens bleibt – unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit oder regionalen Unterschieden. Gleichzeitig ist ein gewisses Maß an Ernüchterung spürbar. Viele Menschen sehen die Langsamkeit des Prozesses nicht als Versäumnis der Europäischen Union, sondern als Folge innenpolitischer Blockaden und mangelnder Entschlossenheit in Sarajevo. 43 Prozent der Befragten nennen den fehlenden politischen Willen im Land als eines der größten Hindernisse für den Fortschritt. Diese Einschätzung unterstreicht, dass die Verantwortung bei den politischen Akteuren liegt, die Erwartungen der Menschen zu erfüllen und die notwendigen Reformen konsequent umzusetzen. Der europäische Weg bleibt der wirksamste Rahmen, um die Hoffnungen der Menschen auf Stabilität, Wohlstand und funktionierende Institutionen zu erfüllen. Entscheidend ist, dass der Beitrittsprozess auf funktionierenden demokratischen Institutionen, Rechtsstaatlichkeit und dem Schutz der Grundrechte aufbaut. Fortschritt kann nur durch konstruktives Handeln erreicht werden – nicht durch Blockaden oder politische Polarisierung.  Bosnien und Herzegowina verfügt über das Potential, den eingeschlagenen europäischen Kurs erfolgreich fortzusetzen. Dafür braucht es jetzt politischen Pragmatismus, institutionelle Stabilität und die Bereitschaft aller Seiten, gemeinsam Verantwortung für die europäische Zukunft des Landes zu übernehmen.

DEKOM: Damals lobten Sie die Vorsitzende des Ministerrats, Borjana Krišto, für ihren politischen Mut bei den Reformen. Wie bewerten Sie das Agieren der derzeit politisch Verantwortlichen in Sarajevo und den Entitäten? Sehen Sie echten Reformwillen oder eher ein Lavieren zwischen EU-Anforderungen und innenpolitischen Rücksichten? Und wie schätzen Sie insbesondere die anhaltend sezessionistische Rhetorik aus der Republika Srpska ein – ist das ein unüberwindbares Hindernis für den EU-Beitritt?

McAllister: Die Entscheidung des Europäischen Rates, im Dezember 2022 Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina zu eröffnen, war eine Anerkennung der Arbeit aller staatlichen Institutionen – insbesondere des Ministerrats unter der souveränen Führung von Borjana Krišto. Sie hat in einer schwierigen politischen Umgebung entscheidende Reformen vorangebracht und damit den europäischen Kurs des Landes gefestigt. Dennoch hat sich die anfänglich positive Dynamik im vergangenen Jahr abgeschwächt. Zwar werden weiterhin Gesetze verabschiedet, doch die politische Polarisierung und Blockaden auf institutioneller Ebene hemmen den notwendigen Fortschritt. Bosnien und Herzegowina befindet sich erneut in einem fragilen politischen Umfeld. Besonders besorgniserregend sind die verfassungswidrigen und sezessionistischen Bewegungen innerhalb der Republika Srpska. Das Europäische Parlament hat wiederholt die spalterische und nationalistische Rhetorik in Banja Luka verurteilt. Das steht im klaren Widerspruch zu den europäischen Werten und gefährdet die Glaubwürdigkeit des gesamten Beitrittsprozesses. Generell sehe ich den wachsenden Einfluss externer Akteure, die versuchen, die europäische Integration des Landes zu untergraben, mit Sorge. Das Europäische Parlament hat im Juli deutlich gemacht, dass es keine Toleranz gegenüber Hassrede, ethnischer Spaltung, Geschichtsrevisionismus oder der Leugnung von Kriegsverbrechen geben darf. Wir unterstützen gezielte Sanktionen gegen all jene, die durch ihr Handeln die Stabilität und europäische Zukunft Bosnien Herzegowinas gefährden – namentlich gegen Milorad Dodik und andere Verantwortliche, die mit Blockaden und Angriffen auf staatliche Institutionen bewusst den Reformprozess sabotieren. Die rechtskräftige Verurteilung von Herrn Dodik ist zu respektieren. Unabhängige Gerichte und ihre Entscheidungen zu achten ist Grundvoraussetzung für jeden Beitrittskandidaten. Jetzt kommt es darauf an, dass die politischen Akteure in Bosnien und Herzegowina Verantwortung übernehmen und die Chancen nutzen, die der EU-Beitrittsprozess bietet. Fortschritt kann nur durch konstruktives Handeln, institutionelle Stabilität und den gemeinsamen Willen aller Seiten entstehen, Reformen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger umzusetzen.

DEKOM: Vielen Dank!

Die Fortschrittsberichte der Europäischen Kommission werden für Ende November erwartet. Sie werden zeigen, ob Bosnien und Herzegowina die Voraussetzungen für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen erfüllt. Das Gespräch führte Guido Mumm. (DEKOM, 10.11.2025)

Zur Person David McAllister ist CDU-Politiker und seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments sowie seit 2017 Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten. Er war von 2010 bis 2013 Ministerpräsident von Niedersachsen und zuvor kommunalpolitisch aktiv, unter anderem als Bürgermeister von Bad Bederkesa. (DEKOM, 10.11.2025)  Mehr Infos zu David McAllister hier…

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