Technologieoffen in die vierte Reinigungsstufe

Während auf europäischer und nationaler Ebene noch um die Details der Finanzierung gerungen wird, schaffen Kommunen und Entwickler längst Fakten: Mit praxisnahen Pilotprojekten und innovativer Technik treiben sie den Ausbau der vierten Reinigungsstufe technologieoffen voran – oft aus eigener Initiative.

Die neue EU-Kommunalabwasserrichtlinie (KARL), sieht eine verpflichtende Entfernung von Spurenstoffen wie Arzneimittelrückständen, Pestiziden oder Industriechemikalien aus den Abwässern vor. Großkläranlagen mit mehr als 150.000 Einwohnerwerten müssen bis spätestens 2045 nachrüsten; für kleinere Anlagen gelten gestaffelte Übergangsfristen – je nach Standort und Risiko.

Erstmals gilt dabei das Verursacherprinzip: Hersteller bestimmter Produkte – vor allem aus der Pharma- und Chemiebranche – sollen sich an den Kosten beteiligen. Während Umweltverbände und kommunale Spitzenorganisationen diesen Schritt begrüßen, regt sich in Industrie- und Ärztekreisen Widerstand – aus Sorge vor Mehrkosten, Bürokratie und Versorgungsengpässen. Wie genau die Herstellerbeteiligung ausgestaltet wird, ist derzeit noch unklar.

Unabhängig davon entstehen vor Ort bereits tragfähige Lösungen. Neben klassischen Aktivkohlefiltern kommen neue Verfahren wie keramische Siliziumcarbid-Membranen zum Einsatz – etwa beim Unternehmen BOLLBRANIC, das auf kompakte, wartungsarme Technik setzt. In Mainz wiederum entsteht die erste vierte Reinigungsstufe in Rheinland-Pfalz – auf Basis eines kombinierten Verfahrens aus Ozonung und granulierter Aktivkohle, entwickelt mit der TU Kaiserslautern.

Mehr dazu erklärt Jeanette Wetterling, Vorstandsvorsitzende des Wirtschaftsbetriebs Mainz, im Gespräch mit dem Deutschen Kommunalinformationsdienst.

Jeanette Wetterling: Wir beschäftigen uns seit 2018 intensiv mit der Frage, was Kläranlagen heute leisten müssen – nicht nur im Bereich der klassischen Nährstoffe wie Phosphor, Stickstoff oder Kohlenstoff, sondern vor allem bei Spurenstoffen wie Arzneimittelrückständen, Röntgenkontrastmitteln, Pestiziden oder Korrosionsschutzmitteln. Die Elimination dieser Stoffe gelingt herkömmlichen Anlagen nur unzureichend. Uns war es wichtig, hier faktenbasiert vorzugehen. Deshalb haben wir über 200 Spurenstoffe am Zu- und Ablauf unserer Anlage analysieren lassen – mit dem Ergebnis, dass immer noch große Mengen in den Rhein gelangen.

DEKOM: Können Sie das konkretisieren?

Jeanette Wetterling: Ein konkretes Beispiel ist das Schmerzmittel Diclofenac, das in vielen Sportsalben enthalten ist. Unsere Untersuchungen zeigen: Jeden Tag gelangen Wirkstoffe in die Kläranlage, die der Menge von rund 270 handelsüblichen Tuben entsprechen. Trotz der bisherigen Reinigungsstufen verlassen noch immer Wirkstoffe in Höhe von etwa 100 Tuben die Anlage und gelangen in den Rhein. Das war für uns der Punkt zu sagen: Wir wollen nicht nur reden – wir wollen handeln. Als größte kommunale Kläranlage in Rheinland-Pfalz tragen wir Verantwortung für den Gewässerschutz.

DEKOM: Welche Technik setzen Sie für die vierte Reinigungsstufe ein?

Jeanette Wetterling: Wir haben uns bewusst für eine Kombination aus Ozonung und granulierter Aktivkohle entschieden. Diese beiden Verfahren ergänzen sich optimal: Einige Stoffe lassen sich besser durch Ozon, andere durch Aktivkohle eliminieren. Gemeinsam erreichen wir das breiteste Eliminationsspektrum, das technisch derzeit möglich ist. Die Entscheidung fiel nach einer Machbarkeitsstudie, die wir mit der TU Kaiserslautern durchgeführt haben. Wir haben zudem eine Pilotanlage mit echtem Mainzer Abwasser betrieben – das war uns wichtig, um realistische Aussagen treffen zu können.

DEKOM: Wie ist der Stand der Umsetzung?

Jeanette Wetterling: Wir sind aktuell im Bau. Anfang 2027 soll die vierte Reinigungsstufe in Betrieb gehen. Die Anlage ist die erste ihrer Art in Rheinland-Pfalz. Das Projekt wird durch Bundes- und Landesmittel mit insgesamt 16 Millionen Euro gefördert – bei einer Kostenschätzung von rund 30 Millionen. Das zeigt: Wer frühzeitig plant und innovativ vorgeht, hat gute Chancen auf Unterstützung.

DEKOM: Und wie gehen Sie mit dem zusätzlichen Energiebedarf um?

Jeanette Wetterling: Wir betrachten unsere Projekte immer ganzheitlich – also auch im Zusammenspiel mit Energie und Klima. Unsere Kläranlage ist heute schon bilanziell energieneutral. Damit das so bleibt, bauen wir unter anderem unsere Photovoltaikleistung um 1,1 Megawattpeak aus und errichten einen Batteriespeicher mit 3,6 Megawattstunden Kapazität – gefördert über das rheinland-pfälzische KIPKI-Programm.

DEKOM: Was macht den Standort Mainz darüber hinaus besonders?

Jeanette Wetterling: Wir nutzen alle Potenziale, die eine moderne Kläranlage bietet. Seit einigen Jahren betreiben wir gemeinsam mit anderen Kommunen die erste Monoklärschlammverbrennungsanlage in Rheinland-Pfalz. Die dort erzeugte Wärme speisen wir in das Mainzer Fernwärmenetz ein. Der Strom aus der Turbine fließt direkt in unsere Kläranlage. So denken wir Abwasser, Energie und Klimaschutz gemeinsam.

DEKOM: Erleben Sie viel Interesse aus der Branche?

Wetterling: Ja, wir stehen im Austausch mit vielen Kolleginnen und Kollegen – auch überregional. Wer sich für unsere Erfahrungen interessiert, ist herzlich willkommen. Wir glauben an interkommunale Zusammenarbeit. Wissenstransfer ist wichtig, um gemeinsam weiterzukommen. (DEKOM, 10.06.2025) Mehr Infos hier…

Print Friendly