Urbane Datenplattformen als Betriebssystem der Stadt
Kommunen stehen unter erheblichem Effizienz‑ und Finanzdruck. Gleichzeitig wächst der Bedarf, Entscheidungen schneller und datenbasiert zu treffen – von der Müllentsorgung über Grünflächenbewässerung bis zur Hochwasserwarnung. Dr. Daniel Trauth, Gründer des Kölner Startup dataMatters, erklärt im DEKOM‑Interview, warum urbane Datenplattformen dafür das „Betriebssystem der Stadt“ sind, wie aus Sensorik echte Mehrwert‑Apps werden und weshalb Vergaberecht, Beihilferegeln und Open‑Source‑Dogmen oft an der Realität vorbeigehen.
DEKOM: Viele Verwaltungen empfinden Digitalisierung noch als Zusatzlast. Zugleich fehlen Personal und Geld. Kommunale Entscheidungsprozesse sind oft zu langsam, während der Aufgabenberg wächst. Personal aufzustocken ist kaum möglich – für neue Aufgaben fehlen schlicht die Leute. Effizienzsteigerung gelingt daher vor allem über Technologie. Ein Beispiel: Nürnberg prüft Wohngeldanträge inzwischen mit einem für 12.000 Euro entwickelten Algorithmus. In Bonn hingegen sind 35 Mitarbeitende sieben Monate im Rückstand. Das zeigt, wie stark digitale Lösungen Hebelwirkung entfalten können. Wie erleben Sie das in Ihrer Arbeit, Herr Trauth?
Trauth: Genau das beobachten wir auch. Technologie ersetzt nicht Menschen, aber sie ermöglicht, dass vorhandenes Personal deutlich effizienter arbeitet. Die Kunst liegt darin, diese Systeme so zu gestalten, dass sie wirklich entlasten – nicht zusätzlich belasten.
DEKOM: Sie bezeichnen urbane Datenplattformen als das „Betriebssystem der Stadt“. Was heißt das konkret?
Trauth: Wie ein Betriebssystem bindet die Plattform „Peripherie“ an – also Sensorik, Aktoren, Fachsysteme – und macht Daten beherrschbar. Auf dieser Basis entstehen spezifische Anwendungen: Monitoring, Steuerung, Auswertung. Erst die Plattform sorgt für Interoperabilität, Sicherheit, Rechte‑ und Rollenmodelle sowie skalierbares Datenmanagement.
DEKOM: Welche kommunalen Mehrwerte sehen Sie besonders deutlich?
Trauth: Zwei Beispiele: In Dormagen analysieren wir DSGVO‑konform Passantenströme. So lassen sich Gründe für Leerstände besser bewerten und der Einzelhandel gezielt stärken – etwa durch Stadtfeste an umsatzstarken Spots. Das erhält am Ende Gewerbesteuersubstanz. In Hürth war das Ziel, Wildmüll zu vermeiden, der entsteht, wenn Mülleimer überlaufen. Füllstandsensoren plus operative Steuerung senken Kosten und halten das Stadtbild sauber.
DEKOM: Und die Rolle von KI und Apps dabei?
Trauth: Auf der Plattform setzen wir auf zwei Schichten: Für die Mitarbeitenden gibt es nutzerfreundliche, mehrsprachige Apps – in Hürth etwa für das Entsorgungspersonal. Darüber hinaus nutzen wir KI, z. B. für intelligente Routenplanung. Die Plattform liefert die Daten – KI und Apps machen daraus handfeste Arbeitsentlastung.
DEKOM: Funknetze sind oft ein Kostentreiber. Wie sind Sie in Hürth vorgegangen?
Trauth: Wir haben bewusst kein eigenes LoRaWAN aufgebaut, sondern ein bestehendes Bürgernetz ergänzt. Ergebnis: 20 statt 40 Gateways – also die Hälfte der Infrastrukturkosten – bei gleicher Abdeckung. Dieser kollaborative Ansatz spart Capex und beschleunigt den Roll‑out.
DEKOM: Hochwasser ist vielerorts ein Dauerstress. Was geht hier mit Datenplattformen?
Trauth: Wir kombinieren Regendaten mit Pegelstandsensoren und geben Bürgerinnen und Bürgern in kritischen Zonen eine Vorwarnzeit von rund 30 Minuten. Das reicht, um Keller zu sichern und Schäden zu begrenzen. Ein gerade laufendes Pilotprojekt zeigt wie Daten präventiv wirken können.
DEKOM: Wie skalierbar sind solche Lösungen – Pilot bleibt ja oft Pilot?
Trauth: Skalierung ist eine Frage der Parametrisierung. Der Hochwasser‑Case ist standortspezifisch. Unsere Mülleimer‑App hingegen lässt sich per Konfiguration – Anzahl Fahrzeuge, Personal, Tourenlogik – in jeder Kommune ausrollen, ohne neu zu entwickeln.
DEKOM: Häufig fehlt vor Ort schlicht Expertise – von Sensorik über Netze bis zu Data Science.
Trauth: Genau. Kommunen müssen nicht zum IT‑Haus werden. Unsere Plattform ist so offen und standardisiert, dass Drittentwickler via Schnittstellen andocken können – bildlich gesprochen: wie USB. Gleichzeitig liefern wir den operativen Rundum‑Service: Auswahl der Sensoren, Netzbetrieb, Datenplattform, App‑Entwicklung.
DEKOM: Ihr Versprechen lautet „vom Sensor zur App“. Was dürfen Kommunen konkret erwarten?
Trauth: Eine Ende‑zu‑Ende‑Lösung: Wir liefern nicht nur die Plattform, sondern den ganzen Weg bis zur anwendbaren App, die reale Probleme löst – von Mülllogistik über Grünflächen bis Bürgerkommunikation.
DEKOM: Sie bieten eine kostenlose Testphase an. Warum?
Trauth: Um die Hürde zu senken. Neun Monate können Kommunen die Plattform unverbindlich nutzen. Sie beschaffen lediglich die Sensoren. So fällt die Einstiegsinvestition in die IT‑Basis weg – und der Nutzen entscheidet.
DEKOM: Closed Source stößt im öffentlichen Umfeld oft auf Skepsis.
Trauth: Uns geht es um Stabilität, 24/7‑Zuverlässigkeit und Verantwortlichkeit. Closed Source garantiert klare Haftung, definierte Release‑Zyklen und Support. Open‑Source‑Lösungen können hervorragend sein – sind aber in der Praxis oft fragmentiert und ohne verlässliche Verantwortlichkeiten.
DEKOM: Sie argumentieren zudem, dass Open Source in Ausschreibungen nicht nur technische Gründe hat.
Trauth: Richtig. Häufig dient es dazu, das komplizierte EU‑Beihilferecht zu umgehen. Ergebnis: Kriterien bevorzugen Open Source – und bessere proprietäre Lösungen verlieren. Wir haben die letzten fünf Ausschreibungen genau aus diesem Grund nicht gewonnen.
DEKOM: Wie erreichen Sie Entscheiderinnen und Entscheider, die nicht aus der Technik kommen?
Trauth: Wir kommunizieren einfach und bildhaft. Kurze Botschaften, Retro‑Erklärvideos mit „Pixelhelden“. Die Zielgruppe ist oft über 60 und juristisch geprägt – sie braucht Verständlichkeit statt Buzzwords.
DEKOM: Verwaltung und Risiko – das ist ein heikles Feld.
Trauth: In der Verwaltung muss ein Vorgang zu 100 % korrekt sein. In der Wirtschaft gilt oft die 80/20‑Regel. Aus Angst vor Folgen des Vergaberechts entsteht eine „Cover‑Your‑Ass“-Mentalität. Das bremst Entscheidungen – und damit Innovation.
DEKOM: Weitere Einsatzfelder jenseits von Müll und Hochwasser?
Trauth: In Dormagen steuern Bodenfeuchtesensoren die Bewässerung von Jungbäumen – das spart Wasser, Kosten und rettet Bäume. In Nettetal und Siegburg setzen wir LLM‑Chatbots mit 38 Sprachen ein. Rund 80 % der Anfragen im Ausländeramt werden automatisiert beantwortet – die Mitarbeitenden spüren die Entlastung sofort.
DEKOM: Oft unterstellen Kommunen Großunternehmen mehr Kompetenz als Start‑ups.
Trauth: Das erlebe ich häufig. Große Namen genießen Vertrauensvorschuss, auch wenn sie dann nicht liefern – mit teuren Folgen. Innovative, agile Teams werden dadurch ausgebremst, obwohl sie schneller und günstiger Ergebnisse schaffen.
DEKOM: Wie belegen Sie Agilität in der Praxis?
Trauth: Mit Taten. Proof of Concept in wenigen Wochen. In einer Kommune im Kölner Umland haben wir zwischen Q2 und Q4 Sensorik im Wert von 15.000 Euro aufgebaut – vom Konzept bis zum Wirkbetrieb.
DEKOM: Welche Rolle spielt Ihre Medienplattform D‑Com in diesem Kontext?
Trauth: D‑Com ist unser „Einfallstor“. Kostenlos, relevant, vertrauensbildend. Sie schafft Reichweite in die Verwaltung hinein – und erleichtert so den Einstieg in unsere Technologieprojekte.
DEKOM: Zum Schluss: Wie sollten Kommunen das Thema „urbane Datenplattform“ anpacken?
Trauth: Nicht mit einer Einzellösung starten, sondern mit dem Verständnis für die Plattformarchitektur: Wie sammle ich Daten sauber ein, wie sichere ich sie ab, und wie baue ich darauf Apps, die Arbeitsprozesse wirklich verändern? Wer das verinnerlicht, beschleunigt Entscheidungen – nachhaltig.
Kurz erklärt: Urbane Datenplattform
Das Betriebssystem der Stadt: bindet Sensorik und Fachsysteme an, verwaltet Daten, regelt Zugriffe und ermöglicht skalierbare Anwendungen – von KI‑Routen bis Bürger‑Warnapps.
Über dataMatters
Das Kölner Startup dataMatters, eine Ausgründung der RWTH Aachen, setzt auf die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in reale Anwendungen. Gründer Dr. Daniel Trauth verfolgt mit seinem Unternehmen einen pragmatischen Ansatz: Statt auf Wagniskapital setzt dataMatters auf zufriedene Kunden und konkrete Einsatzgebiete wie Smart Cities, Smart Buildings und IoT-Anwendungen. (DEKOM, 28.10.2025) Mehr Infos hier…
 
                    