Bosnien-Herzegowina: „Der EU-Beitrittsprozess ist ein entscheidender Treiber für die Energiewende“
Bosnien-Herzegowina steht vor einer entscheidenden Phase in seiner Energiewende. Trotz der starken Abhängigkeit von Kohle für die Energieversorgung sind die Anforderungen der EU-Annäherung und die Verpflichtungen innerhalb der Energiegemeinschaft klare Treiber für den Wandel. Die Referatsleiterin bei der Europäischen Kommission für Beziehungen zu den Mitgliedstaaten und der Energiegemeinschaft, Dr. Yolanda Garcia Mezquita, erläutert im Interview, wie sie den aktuellen Weg des Landes beurteilt, welche Synergien zwischen Energiewende und EU-Beitritt bestehen und welche Schritte Bosnien-Herzegowina noch unternehmen muss.
DEKOM: Wie beurteilen Sie den aktuellen Pfad und die Bemühungen Bosnien-Herzegowinas beim Ausstieg aus der Kohleverstromung?
Dr. Garcia Mezquita: Bosnien-Herzegowina ist weiterhin stark von Kohle abhängig – 68 % der Stromerzeugung stammten im Jahr 2022 aus Kohlekraftwerken. Das ist im gesamten Westbalkan eine typische Situation, und ein Kohleausstieg ist eng mit Überlegungen zur Versorgungssicherheit verknüpft. Dennoch ist die Richtung klar: Mit dem EU-Beitrittsprozess, der auch für Bosnien-Herzegowina bald intensiviert werden sollte, und den Anforderungen der Energiegemeinschaft liegt der Fokus auf der Dekarbonisierung des Energiesystems.
Zudem hat Bosnien-Herzegowina großes Potenzial bei erneuerbaren Energien, das den Übergang erleichtert. Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass sich das Land noch in einer sehr frühen Phase eines unvermeidlich schrittweisen Prozesses befindet. Die EU ist bereit, diesen Weg durch verschiedene Instrumente und Rahmenbedingungen zu unterstützen.
DEKOM: Gibt es Synergien zwischen der Energiewende und Bosnien-Herzegowinas EU-Beitritt?
Dr. Garcia Mezquita: Absolut. Der EU-Beitrittsprozess ist ein entscheidender Treiber für die Energiewende. Bosnien-Herzegowina ist Vertragspartei der Energiegemeinschaft und verpflichtet sich somit, EU-Vorschriften zu übernehmen, die Dekarbonisierungsziele fördern, wie die Richtlinien für erneuerbare Energien oder die Energieeffizienz von Gebäuden.
Der Beitrittsprozess bringt zudem finanzielle Unterstützung mit sich, die an Reformen geknüpft ist. Ein Beispiel ist die Verpflichtung zur Entwicklung eines Nationalen Energie- und Klimaplans (NECP), der die Strategie für nachhaltiges Wachstum und Dekarbonisierung festlegt. Außerdem könnte Bosnien-Herzegowina bereits vor einem formalen Beitritt vom EU-Binnenenergiemarkt profitieren, sofern eine ausreichende regulatorische Angleichung erfolgt.
DEKOM: Wie kann die Europäische Union Bosnien-Herzegowina weiterhin bei den Dekarbonisierungsbemühungen unterstützen?
Dr. Garcia Mezquita: Die EU verfügt über mehrere Instrumente, um Bosnien-Herzegowina zu unterstützen. Die Reform- und Wachstumsfazilität für den Westbalkan stellt für 2024–2027 insgesamt 6 Milliarden Euro bereit, um Reformen und Projekte im Bereich der Dekarbonisierung zu fördern. Auch der Westbalkan-Investitionsrahmen stellt Mittel für grüne Projekte bereit, wie Energieeffizienzmaßnahmen in Gebäuden und die Dekarbonisierung von Fernwärmesystemen.
Darüber hinaus hat die EU ein Energiesoforthilfepaket geschnürt, das Bosnien-Herzegowina 70 Millionen Euro zur Unterstützung der am stärksten gefährdeten Haushalte und zur Förderung der Energiewende bereitstellt. Auch der geplante CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), der ab 2026 wirksam wird, bietet starke Anreize zur Einführung eines CO₂-Bepreisungssystems in Bosnien-Herzegowina.
DEKOM: Wie kann die allgemeine Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina von der Notwendigkeit der Energiewende und dem Kohleausstieg überzeugt werden?
Dr. Garcia Mezquita: Hier sind klare und verständliche Botschaften entscheidend. Es sollte betont werden, dass der Kohleausstieg nicht nur Umwelt- und Klimavorteile mit sich bringt, sondern auch nachhaltiges Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze fördert. Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienzprojekte können Regionen, die derzeit stark von Kohle abhängig sind, neue Perspektiven bieten. Solche Strategien müssen transparent und inklusiv kommuniziert werden, um die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen.
DEKOM: Welche Maßnahmen muss Bosnien-Herzegowina ergreifen, um die Energiewende erfolgreich umzusetzen?
Dr. Garcia Mezquita: Bosnien-Herzegowina sollte einen ambitionierten Nationalen Energie- und Klimaplan (NECP) verabschieden und umsetzen, der Maßnahmen zur Förderung erneuerbarer Energien und zum Kohleausstieg enthält. Fortschritte bei der Umsetzung des Dekarbonisierungsfahrplans der Energiegemeinschaft sind ebenfalls essenziell, um die Klimaziele für 2030 und die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.
Darüber hinaus ist die vollständige Angleichung an die EU-Energiegesetzgebung erforderlich, einschließlich der Einführung eines CO₂-Bepreisungssystems, um CBAM-Abgaben zu vermeiden. Schließlich muss Bosnien-Herzegowina in seine Infrastruktur investieren, z. B. in regionale Stromverbindungen wie den Trans-Balkan-Korridor, um erneuerbare Energien besser in das Netz und den Energiemix zu integrieren. Vielen Dank. (DEKOM,16.12.2024)