Europawahl 2024: Rechter Rand gestärkt – Mitte behält Mehrheit

Die Union hat die Europawahl in Deutschland mit großem Abstand gewonnen – vor der AfD, die zweitstärkste Kraft wurde. Wie die Bundeswahlleiterin nach Auszählung aller 400 Kreise auf ihrer Homepage mitteilte, legten CDU und CSU zusammen auf 30,0 Prozent zu. Die AfD verbesserte sich deutlich auf 15,9 Prozent. Von den in Berlin regierenden Koalitionsparteien fiel die SPD auf 13,9 Prozent und damit ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl zurück, die Grünen stürzten noch stärker ab auf 11,9 Prozent, die FDP erlitt mit 5,2 Prozent leichte Einbußen. Das neu gegründete linke Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kam aus dem Stand auf 6,2 Prozent, die Linke auf 2,7 Prozent. Auch die Parteien Freie Wähler, Volt, Die Partei, ÖDP, Tierschutzpartei und Familienpartei errangen Mandate. Auch europaweit zeichnet sich bereits ab, dass die politische Mitte ihre Mehrheit behält – allerdings haben sich die Verhältnisse im EU-Parlament teils erheblich verändert, was vor allem am rechten Rand deutlich wird. Die Wahlkampfstrategie der amtierenden Kommissionspräsidentin ist aufgegangen. Um sich die Unterstützung der vielen Kritiker im eigenen Lager von CDU und CSU zu sichern, verzichtete sie im Wahlkampf weitgehend auf das, was jahrelang ihre „Herzensangelegenheit“ gewesen war, den „Green Deal“. Ursula von der Leyen hatte sich ohne Murren hinter das Programm der Christdemokraten gestellt, was deren Europa-Chef Manfred Weber mit uneingeschränkter Rückendeckung belohnte. Die neue Geschlossenheit der beiden, denen jahrelang ein schwieriges Verhältnis nachgesagt wurde, sorgte auch dafür, dass die christdemokratische Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei (EVP) nicht nur stärkste Fraktion im Europaparlament bleibt, sondern zum ersten Mal seit langem auch zulegen konnte, mit einem Plus von mindestens acht Sitzen. Das dürfte eine gute Basis für eine zweite Amtszeit von der Leyens sein. Dafür ist sie jetzt zwar erst einmal auf die Staats- und Regierungschefs angewiesen, die sie mit qualifizierter Mehrheit vorschlagen müssen. Und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wie auch Bundeskanzler Olaf Scholz hatten im Vorfeld schon mal durchblicken lassen, dass es bei der Besetzung des Spitzenjobs keinen Automatismus geben muss. Aber für den Sozialdemokraten Scholz und den Liberalen Macron lief die Europawahl nicht gerade erfolgreich – unwahrscheinlich, dass die beiden Wahlverlierer sich jetzt noch für eine Alternative zu von der Leyen an der Kommissionsspitze stark machen. Die politische Mitte behält die Mehrheit. Trotz der Erfolge rechtsradikaler und nationalistischer Parteien in vielen EU-Ländern, werden die drei Fraktionen der politischen Mitte – die christdemokratische EVP, die sozialdemokratische S&D und die liberale Renew – auch im neuen Europaparlament eine klare Mehrheit bilden können. Von der Leyen kündigte noch am Wahlabend an, dass sie Sozialdemokraten und Liberale wegen einer möglichen Zusammenarbeit ansprechen will: „Ich habe immer gesagt, dass ich eine breite Mehrheit für ein starkes Europa aufbauen möchte“. Die drei Fraktionen kommen auf mehr als 400 Sitze, das ist rein rechnerisch eine klare Mehrheit im neuen Parlament, dem 720 Abgeordnete angehören werden. Allerdings haben sich bisher fast nie alle an die Fraktionsvorgaben gehalten, eine Fraktionsdisziplin wie im Bundestag gibt es nicht. Das dürfte ein Grund dafür sein, dass von der Leyen sich im Wahlkampf auch offen für eine Zusammenarbeit mit Rechtsaußen-Politikern gezeigt hat, etwa mit den postfaschistischen Fratelli d’Italia von Regierungschefin Georgia Meloni. Die Grünen erwähnte sie am Wahlabend nicht als mögliche Partner für eine Zusammenarbeit. Das rechte Lager geht gestärkt aus der Europawahl hervor, das ist die Folge von hohen Stimmengewinnen vor allem in den großen EU-Ländern Deutschland, Frankreich und Italien. Es ist allerdings offen, welche politischen Folgen das hat. Die Rechten bilden keinen geschlossenen Block, sie sind zerstritten – auch innerhalb der schon etablierten Parteienfamilien der rechtsnationalen EKR-Fraktion und der deutlich extremeren ID-Fraktion. Die hatte kurz vor der Wahl noch die deutsche AfD ausgeschlossen, sodass am Wahlabend unklar war, ob die 16 AfD-Politiker überhaupt eine Fraktion finden, die bereit ist, sie aufzunehmen. Unabhängig davon werden aber alle demokratischen Parteien in Europa der Frage nachgehen müssen, warum allein EKR und ID so viele Wähler überzeugen konnten, dass sie zusammen auf mindestens 130 Abgeordnete – mehr als ein Sechstel des Parlaments – kommen. Die Liberalen haben die größten Stimmeneinbußen zu verzeichnen – die Renew-Fraktion verliert fast ein Fünftel ihrer Sitze. Hauptgrund ist der dramatische Bedeutungsverlust in Frankreich. Macrons Regierungspartei Renaissance landete mit nur 15 Prozent weit abgeschlagen hinter der Rechtsaußen-Partei Rassemblement National von Marine Le Pen, die es auf mehr als 30 Prozent der Stimmen brachte. Trotzdem können die Liberalen damit rechnen, Teil der neuen Mitte-Koalition zu werden, Kommissionspräsidentin von der Leyen wird auf sie angewiesen sein. Die Grünen wurden von ihr nicht einmal gefragt. Das ist bitter, nachdem sie in den vergangenen gut vier Jahren eine Stütze bei der Durchsetzung von von der Leyens „Green Deal“ waren. Bitter fielen auch die Reaktionen von Europa-Grünen auf den Absturz in der Wählergunst aus. Sprecher Rasmus Andresen zeigte mit dem Finger nach Berlin. „Die Wahl war in Deutschland durch Frustration über die Politik der Bundesregierung geprägt“, erklärte er am Abend. Die Kommunikation beim Heizungsgesetz habe viele Menschen verunsichert, dabei sei auch die „unklare soziale Flankierung“ ein Problem gewesen. (EP, 10.06.2024) Mehr Infos hier…

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