Fokus Digitale Verwaltung – Anke Domscheit-Berg im DEKOM-Interview

Die digitale Transformation stellt Kommunen und öffentliche Verwaltungen vor immense Herausforderungen. Fehlende Fachkräfte, veraltete IT-Systeme und mangelnde finanzielle sowie strukturelle Unterstützung prägen vielerorts das Bild. Doch welche Lösungen gibt es, um diese Hürden zu überwinden? Im Gespräch mit DEKOM-Herausgeber Guido Mumm beleuchtet Anke Domscheit-Berg, Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion und Digitalpolitikerin, den Status Quo der Digitalpolitik in Deutschland und hebt die Bedeutung von Open Source-Lösungen für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung hervor.

DEKOM: Frau Domscheit-Berg, wie bewerten Sie die derzeitige Lage in der Digitalpolitik und die Rolle der Kommunen bei der digitalen Transformation?

Domscheit-Berg: Momentan habe ich den Eindruck, dass wir in vielen Bereichen lediglich Scheingefechte austragen, ohne wirkliche Fortschritte zu erzielen. Seit dem Bruch der Ampel gibt eine Art „Super-GroKo“ aus Ampel und Union, die gemeinsam weitgehend Arbeitsverweigerung betreiben. Statt notwendiger Reformen gibt es Stillstand, bei der Umsetzung von EU-Richtlinien genauso wie beim Breitbandausbau. Besonders die Kommunen bleiben auf sich allein gestellt zum Beispiel bei der IT-Sicherheit oder der digitalen Infrastruktur.

DEKOM: Welche Herausforderungen sehen Sie speziell bei der Umsetzung der digitalen Transformation auf kommunaler Ebene?

Domscheit-Berg: Die Realität in vielen Kommunen ist ernüchternd, vor allem in ärmeren und kleineren. Ihre IT ist häufig veraltet, es fehlt an Fachkräften und die Unsicherheit darüber, wie digitale Projekte umgesetzt werden sollen, lähmt viele Verantwortliche. Das führt dazu, dass letztendlich viel zu wenig geschieht. Kommunen sind in vielen Fällen auch ungenügend in Entscheidungsprozesse eingebunden. Sie sollen dann Dinge umsetzen, die der Gesetzgeber beschließt und bekommen nicht einmal die notwendigen finanziellen Mittel oder fachliche Unterstützung zu erhalten. Leidtragende sind die Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger.

DEKOM: Wie bewerten Sie den Einsatz von Open Source-Lösungen in der Verwaltung?

Domscheit-Berg: Open Source bietet enorme Potenziale, aber es gibt leider immer noch zahlreiche Vorurteile und Hindernisse. Viele wissen nicht, wie man Open Source Lösungen ausschreibt oder wie man gute Open Source Produkte findet. Die Einkaufsabteilungen sind oft überlastet und haben wenig technisches Wissen. Ein weiteres Problem ist die kurzfristige wirtschaftliche Betrachtung. Man kalkuliert nur die Anschaffungskosten, ignoriert aber langfristige Vorteile wie geringere Betriebskosten, Unabhängigkeit und Flexibilität. Schleswig-Holstein und Thüringen zeigen, dass ein Umstieg auf Open Source erfolgreich sein kann, wenn er strategisch geplant wird. Diese Beispiele sollten Schule machen.

DEKOM: Welche Rolle hat in diesem Kontext das Zentrum für digitale Souveränität (ZenDiS)?

Domscheit-Berg: Das ZenDiS kann eine Schlüsselrolle spielen, um Kommunen gezielt bei der digitalen Transformation zu unterstützen. Als Zentrum für digitale Souveränität verfolgt es das Ziel, unabhängige und nachhaltige IT-Lösungen zu fördern. Es bietet eine Plattform, auf der Wissen gebündelt und Erfahrungen geteilt werden können. Besonders bei der Einführung von Open Source, der Gestaltung sicherer und souveräner Cloud-Lösungen oder der Entwicklung langfristiger Strategien für IT-Infrastrukturen ist das ZenDis eine wertvolle Ressource. Wichtig ist, dass es über Beratung hinausgeht und praktische Unterstützung leistet, etwa durch Schulungen, Vorlagen für Ausschreibungen oder standardisierte Werkzeuge. Kommunen benötigen Partner, die ihnen helfen, souveräne Entscheidungen zu treffen und digitale Unabhängigkeit zu stärken. Damit das ZenDis dieses Potenzial ausschöpfen kann, muss es jedoch stärker gefördert und konsequent weiterentwickelt werden. Gerade in der aktuellen Phase, in der viele Kommunen bei der Digitalisierung überfordert sind, ist ZenDis eine entscheidende Säule für den Fortschritt und die digitale Eigenständigkeit.

DEKOM: Was sind Ihre Erwartungen an die Bundesregierung in Bezug auf die Förderung von Open Source?

DomscheitBerg: Es braucht dringend ein stärkeres Zentrum für Digitale Souveränität, das mit Ländern als Gesellschafter auch Kommunen konkret bei der Beschaffung und Implementierung von Open Source unterstützt. Leider hat das ZenDis zu wenig Ressourcen und die Beteiligung der Länder zieht sich schon über ein Jahr hin. Immerhin treibt es Vorreiterprojekte wie „Open Desk“ oder „Open CoDE“ an, die bereits zeigen, wie Open Source in der Verwaltung funktionieren kann. Diese Ansätze müssen aber ausgebaut und besser vernetzt werden, um nachhaltig zu wirken.

DEKOM: Was ist Ihr Fazit zur aktuellen Situation der digitalen Verwaltung?

Domscheit-Berg: Es fehlt bundesweit an einer klaren Strategie, an langfristigem Denken, an Wissenstransfer und vor allem an verbindlichen gemeinsamen Standards. Ohne diese Elemente können wir die Potenziale der digitalen Transformation nicht ausschöpfen. Doch es gibt auch Hoffnung: Wenn Kommunen voneinander lernen und sich für neue Ansätze wie Open Source öffnen, wie Schleswig-Holstein und Thüringen es vormachen, können wir Fortschritte erzielen. Es wird Zeit, dass die Bundesregierung nicht länger bremst, sondern endlich handelt! (DEKOM, 27.01.2025) Mehr Infos hier…

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