Pilotprojekt bewilligt: Speyer erprobt vierte Reinigungsstufe auf kommunaler Kläranlage

Die rheinlandpfälzische Stadt Speyer startet auf der kommunalen Kläranlage ein Pilotprojekt zur Erprobung einer vierten Reinigungsstufe. Dr. Maria Montero-Muth, Stadträtin der Fraktion „Unabhängig für Speyer“ (UfS) hatte das Thema der vierten Klärstufe bereits 2017 in den Stadtrat eingebracht und 2022 erneut im Werksausschuss deren Einführung gefordert. „Wir begrüßen es ausdrücklich, dass nun nach so langer Zeit endlich zumindest ein Pilotprojekt auf den Weg gebracht wird“, so Dr. Maria Montero-Muth. Dieses dürfe allerdings nicht auf ein halbes Jahr begrenzt sein. Die UfS setzt sich für eine dauerhafte Verstetigung ein. Der Anstieg sogenannter Spurenstoffe wie Arzneimittel, hormonell wirksame Substanzen, „Alltags-Chemikalien“ wie etwa Haushaltsreiniger, Duschgels etc. sind zwar in sehr geringen, aber stetig zunehmenden Mengen im Grundwasser und sogar Trinkwasser nachweisbar. Die Spurenstoffe gelangen über den Abfluss ins Abwasser. Die Rückstände können zudem erhebliche Schäden an unserem Ökosystem verursachen. So ist etwa wissenschaftlich belegt, dass Spuren von Hormonen die Fortpflanzung von Fischen beeinträchtigt und Antibiotika durch die Nahrungskette auch zu multiresistenten Keimen bei Menschen führen können. Bei anderen Spurenelementen ist noch unklar, wie schädlich sie sich auf die Umwelt auswirken. Durch die Einführung einer vierten Klärstufe mit Pulveraktivkohle werden Spurenstoffe wie Medikamente, Rostschutzmittel, Röntgenkontrastmittel etc. aus dem Wasser herausgefiltert. Zum Schutz der Umwelt, aber auch der Menschen ist die dauerhafte Einführung einer vierten Klärstufe daher dringend erforderlich, so Dr. Maria Montero-Muth im DEKOM-Interview.

Seit 2017 machen Sie sich für den Zubau einer 4. Reinigungsstufe in Speyer stark – letztlich erfolgreich. Dennoch hat es sieben Jahre gedauert. Warum gestaltete sich der Prozess so langwierig?

Dr. Maria Montero-Muth: In Deutschland besteht keine gesetzliche Verpflichtung zur Elimination von Spurenstoffen in Kläranlagen. Baden-Württemberg hat eine Vorreiterrolle eingenommen und vor rund 15 Jahren mit der Einführung der 4. Klärstufe begonnen. Es ist das Bundesland mit den anzahlmäßig meisten Kläranlagen mit einer Reinigungsstufe zur gezielten Spurenstoffentfernung. Das Bundesland hat dieses Ziel politisch und finanziell gefördert. Das Kompetenzzentrum Spurenstoffe Baden-Württemberg mit Sitz in Stuttgart wurde aufgebaut. Es gibt Handlungsempfehlungen und Knowhow für die Umsetzung derartiger Reinigungsstufen. Das ist wichtig, denn die Kläranlagenbetreiber betreten mit der 4. Klärstufe „Neuland“. Sie benötigen zur Umsetzung finanziellen und betrieblichen Support. Das Land Rheinland-Pfalz hat kürzlich begonnen durch Finanzierung von Machbarkeitsstudien und Pilotprojekten potentielle Kläranlagebetreiber bei der Einführung der 4. Klärstufe zu unterstützen.

Im Hauptberuf sind Sie Internistin und kennen die Gefahren, durch verunreinigtes Wasser. Welche Stoffe sind aus Ihrer Sicht besonders problematisch für uns Menschen und was kann die 4. Klärstufe in diesem Zusammenhang bewirken?

Dr. Maria Montero-Muth: Die Liste der Spurenstoffe ist lang. Inhaltstoffe z.B. aus Medikamenten, Duftstoffen, Reinigungsmittel, Kosmetika, Weichmacher Industriechemikalien, Korrosionsmittel, Herbiziden zählen zu den typischen organischen anthropogenen Spurenstoffen. Viele davon gelangen über das häusliche Abwasser in die Kläranlagen. Weitere Quellen bilden in der Industrie, das Gewerbe oder auch Gesundheitseinrichtungen. In den Kläranlagen werden Spurenstoffe in den heutige gängigen Reinigungsstufen derzeit nicht oder un- vollständig abgebaut. Deshalb gelangen diese Spurenstoffe in die Gewässer und teilweise bis ins Grundwasser und möglicherweise ins Trinkwasser. Für die ökotoxikologische Beurteilung vieler Spurenstoffe fehlt das Wissen, fehlen Grenzwerte insbesondere für Transformationsprodukte. Es gibt Indizien, dass die Spurenstoffe ökotoxisch für die Tierwelt und Pflanzenwelt sind.  Für den Menschen sind derzeit keine unmittelbaren Auswirkungen zu befürchten. Es gibt aber kaum Erkenntnisse über mögliche kombinatorische Effekte der Stoffe sowie deren Langzeitwirkungen in der Umwelt. Zum allgemeinen Schutz kann der Eintrag von Spurenstoffen in die Gewässer durch die 4. Reinigungsstufe verringert werden.

Die Dürreperioden der letzten Jahre haben gezeigt, dass Wasser auch hierzulande endlich ist. Brauchen wir grundsätzlich ein anderes Verständnis für die Ressource Wasser?

Dr. Maria Montero-Muth: Wasser ist das Lebensmittel Nr. 1. Diese Ressource ist ein knappes, wertvolles Gut weltweit geworden. Aufklärungskampagnen helfen den Bürgern das Wasser bewusster im Alltag einzusetzen. Unsere Stadtwerke sensibilisieren seit Jahren die Bevölkerung durch regelmäßige Aufklärungsberichte: „Wie der Wasserverbrauch gesenkt werden kann“.  Ein weiteres Instrument das Bewusstsein im Umgang mit dem Wasser zu verbessern, ist auch durch eine Erhöhung der Gebühren zu erzielen. Das sehen wir analog im Bereich Energieverbrauch.

Der Bau einer vierten Klärstufe ist vergleichsweise teuer und bedarf erheblicher Investitionen. Wie können Kommunen das stemmen? Die EU- Kommunalabwasserrichtlinie hebt in der aktuellen Fassung auf das Verursacherprinzip (80/20) ab. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Oder bezugnehmend auf die vorherige Frage- wären höhere Gebühren für die Verbraucher nicht sinnvoller, um den Wert der kostbaren Ressource Wasser spürbar zu machen? Das Land muss den Kommunen mit finanziellem und betrieblichem Support bei der Umsetzung der 4. Reinigungsstufe unterstützen.  Im laufenden Unterhalt der 4. Klärstufe können Gelder aus der EU- Kommunalabwasserrichtlinie den Kommunen helfen. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit der EU-Kommunalabwasserrichtlinie ist schwer zu beantworten. Einerseits könnte es dahingehend zum Umdenken bei den Verursachern führen, die Suche nach leicht abbaubaren, umweltverträglicheren Endprodukten zu beschleunigen. Allerdings werden die Verursacher die Mehrkosten der Produkte an den Verbraucher weitergeben. Viele Medikamente werden derzeit im Ausland außerhalb der EU produziert. Wie geht die EU mit den importierten Arzneien um? Wir erleben jetzt schon Medikamentenumstellungen wegen Lieferengpässen. Laut Kläranlagenbetreiber ist diese Richtlinie noch nicht in nationales Recht übertragen worden. Es besteht noch ein großes Fragezeichen wie die Umsetzung erfolgen soll. Letztlich ist ein Umdenken bei den Verursachern und insbesondere auch bei den Verbrauchern – also uns allen – im Umgang mit dem Wasser nötig. (DEKOM/UfS/Speyer-Kurier, 26.02.2024/22.04.2024) Ganzer Artikel hier…

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