Vierte Reinigungsstufe: Zwischen Energieeffizienz und Mikroschadstoffen

Mit der novellierten EU-Kommunalabwasserrichtlinie steht die Wasserwirtschaft vor einem tiefgreifenden Paradigmenwechsel, der mit ambitionierten Vorgaben für Städte und Gemeinden verbunden ist. Neben der Einführung einer weitergehenden Abwasserreinigung auf vielen kommunalen Kläranlagen, der sogenannten vierten Reinigungsstufe zur besseren Entfernung von Mikroschadstoffen, fordert die Richtlinie auch eine höhere Energieeffizienz bei der Abwasserbehandlung. Was das konkret für Kommunen bedeutet, worauf sie bei der Umsetzung achten sollten und welche Technologien sich bewähren könnten, erläutert Prof. Dr. Tobias Morck, Leiter des Fachgebiets Siedlungswasserwirtschaft an der Universität Kassel, im DEKOM-Interview:

DEKOM: Herr Prof. Morck, die neue EU-Kommunalabwasserrichtlinie beschäftigt viele Bürgermeisterinen und Bürgermeister. Es geht nicht nur um die Einführung einer vierten Reinigungsstufe, sondern auch um Energieeffizienz in der Abwasserbehandlung. Wie bewerten Sie, dass beides gleichzeitig auf die Kommunen zukommt?

Morck: Das macht Sinn. Energieeffizienz ist für die Kommunen kein neues Thema – Kläranlagen gehören traditionell zu den größten Stromverbrauchern in den Kommunen. Entsprechend gibt es schon lange Regelwerke und Werkzeuge, um die Energieeffizienz auf kommunalen Kläranlagen zu beurteilen und gezielte Optimierungsmaßnahmen einzuleiten. Die zusätzliche Einführung einer vierten Reinigungsstufe wird den Strombedarf etwas erhöhen und muss daher in die bestehende Energiebilanzbetrachtung für die Gesamtanlage einbezogen werden. Wichtig ist, die jeweiligen Randbedingungen der Anlagen zu berücksichtigen – pauschale Energieeffizienzklassen für Kläranlagen wären hier nicht sinnvoll.

DEKOM: Unsere Zielgruppe sind Kommunalpolitiker, keine Abwasserexperten. Können Sie kurz erklären, warum Kläranlagen je nach Standort unterschiedlich viel Energie brauchen?

Morck: Dies hängt zum einen von der Zulaufbelastung der Anlage ab. So können beispielsweise industrielle Einleitungen zu einer höheren Belastung führen, so dass mehr Energie für die Reinigung benötigt wird. Wir beziehen unsere Werte immer auf sogenannte Einwohnerwerte – also auf die organische Belastung, die eine Person im Schnitt verursacht. Aber auch die Topografie spielt eine Rolle: Wenn mehr gepumpt werden muss, um das Abwasser in und durch die Anlage zu befördern, steigt der Energiebedarf der Gesamtanlage.

DEKOM: Bei der vierten Reinigungsstufe gibt es zahlreiche Technologien: Ozonierung, Filtration, Membrantechnik. Welche Verfahren sind derzeit am erfolgversprechendsten?

Morck: Erprobt, breit eingesetzt und weiter optimiert werden adsorptive Verfahren mit Aktivkohle und oxidative Verfahren mit Ozon. Oft werden sie inzwischen kombiniert, da sich bestimmte Spurenstoffe besser adsorbieren und andere besser oxidieren lassen. Durch die Kombination kann der Bedarf an Aktivkohle reduziert werden, was den Betrieb der vierten Reinigungsstufe ressourceneffizienter machen kann. Diese Technologien sind in Deutschland bereits auf über 50 kommunalen Kläranlagen teilweise seit weit über 10 Jahren in Betrieb.

DEKOM: Sind alle Kläranlagen über 10.000 Einwohnerwerte betroffen?

Morck: Nicht zwingend. Es wird ein risikobasierter Ansatz verfolgt: Nur wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind, wie unter anderem die Einleitung in Trinkwassereinzugsgebiete oder Badegewässer, gilt die Pflicht für eine zusätzliche Reinigungsstufe auch für Kläranlagen mit mehr als 10.000 Einwohnerwerten. Klar ist: Ab 2045 müssen alle Kläranlagen mit mehr als 150.000 Einwohnerwerten eine vierte Reinigungsstufe in Betrieb haben.

DEKOM: Gibt es auch neuere Technologien, die künftig an Bedeutung gewinnen könnten?

Morck: Ja, neue Membrantechnologien, photokatalytische oder naturnahe Verfahren werden weiterhin als Optionen für die Elimination von Spurenstoffelimination untersucht. Solche Entwicklungen sind allerdings häufig noch im Pilotstadium. Bis 2045, dem Zieljahr der EU-Richtlinie, bleibt Zeit, neue Verfahren großtechnisch zu erproben und einzuführen.

DEKOM: Wie gelangen neue Technologien aus dem Labor in die Praxis?

Morck: Viele Kläranlagenbetreiber sind offen für Pilotprojekte zur Erprobung neuer Technologien. Unternehmen und Forschungseinrichtungen testen neue Technologien in halbtechnischen Anlagen, oft mit Unterstützung von Hochschulen. Hierzu gibt es eine Vielzahl von positiven Erfahrungen, die in den letzten Jahren in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern gemacht wurden.

DEKOM: Stichwort Modularität: Können neue Systeme so gebaut werden, dass sie flexibel erweiterbar sind?

Morck: Modularität stand bisher nicht immer im Fokus der Planungs- und Umsetzungsprozesse auf kommunalen Kläranlagen, da die Bauwerke der Anlagenstufe für Nutzungsdauern von 25 bis 40 Jahren ausgelegt sind. Aber gerade für kleinere Anlagen oder im Hinblick auf neue Anforderungen könnte Modularität in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Technisch möglich ist sie.

DEKOM: Auf welche Punkte sollten Kommunen bei der Planung besonders achten?

Morck: Insbesondere bei oxidativen Verfahren mit Ozon muss geprüft werden, ob sich durch die Oxidation neue problematische Stoffe bilden könnten. Dafür gibt es inzwischen Prüfverfahren. Weiterhin sind der Platzbedarf, die Anbindung an bestehende Anlagenteile und die spezifischen Standortbedingungen zu berücksichtigen.

DEKOM: Kann Künstliche Intelligenz helfen, den Betrieb effizienter zu gestalten?

Morck: Digitalisierung kann definitiv helfen. KI kann etwa dabei unterstützen, Belastungen im Zulauf vorherzusagen und die Betriebsführung effizienter zu gestalten. Softsensoren und digitale Zwillinge sind vielversprechende Ansätze aus unserer Forschung.

Vielen Dank! (DEKOM, 28.04.2025) Mehr Infos hier…

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