Friedhelm Boginski: „Beim OZG müssen Bund, Länder und Kommunen an einem Strang ziehen“

Das modernisierte Onlinezugangsgesetz für mehr digitale Verwaltungsdienstleistungen ist Ende März im Bundesrat gescheitert. Der Gesetzentwurf erhielt in der Ländervertretung nicht die erforderliche Mehrheit. Die unionsgeführten Bundesländer verweigerten ihre Zustimmung. Der Bundestag hatte die Novelle Ende Februar beschlossen. Sie sollte Bürgerinnen und Bürgern von 2028 an über ein digitales Bürgerkonto einen verbindlichen Zugang zu Behördendienstleistungen des Bundes ermöglichen. Die Verwaltung sollte damit bürgernah und moderner werden.  Darüber was das Scheitern des neuen OZG für die Digitalisierung unserer Rathäuser und für digitale Bürgerservices bedeutet und welche großen Herausforderungen die Städte und Gemeinden – von der Cannabis-Legalisierung bis zum Fachkräftemangel – aktuell noch bewältigen müssen, haben wir mit dem kommunalpolitischen Sprecher der FDP – Bundestagsabgeordneten und langjährigen ehemaligen Bürgermeister der Stadt Eberswalde, Friedhelm Boginski gesprochen.

Herr Boginski, wie geht es nach dem Scheitern des neuen OZG jetzt weiter mit der digitalen Transformation in den Rathäusern und Amtsstuben?

Friedhelm Boginski: Die Digitalisierung in den Rathäusern muss kommen,das ist schon lange bekannt, auch wenn die einzelnen Rathäuser regional ganz unterschiedlich weit entwickelt sind. Es ist richtig, dass jede Kommune vor Ort nach ihrem Tempo mit der Digitalisierung fortschreitet. Das ist wichtig, denn Bürger erleben in ihren Gemeinden, wie nahbar umgesetzte Politik ihnen ist, je nachdem, wie bürgerfreundlich ihre Gemeinde auf ihre Bedürfnisse und Anforderungen reagiert. Auch für Menschen mit Einschränkungen bieten digitale Verwaltungsdienstleistungen die Möglichkeit der Teilhabe und führt ganz nebenbei für sie auch noch zu mehr Inklusion auf kommunaler Ebene. Natürlich trifft eine digitale Neustrukturierung in der kommunalen Verwaltung erst einmal auf Schwierigkeiten, denn die Umstellung erfordert Mut zur Veränderung, den Willen zur Gestaltung, Einfallsreichtum, Kreativität und erfordert auch noch einen langen Atem, um zum Erfolg zu gelangen. Ich weiß, wie schwer das ist und gegen wie viele Widerstände man dabei angehen muss, denn das habe ich in meiner Zeit als Bürgermeister in Eberswalde selbst erlebt. All das muss in den Kommunen noch zusätzlich zum Tagesgeschäft und allen anderen Problemen mit einer Unterausstattung der Verwaltung gestemmt werden. Die Kommunen stehen hier vor einer Herausforderung, die sie angehen müssen, um den Schritt in die Digitalisierung erfolgreich zu meistern. Zur digitalen Transformation gibt es aber keine Alternative.

Was muss aus Ihrer Sicht getan werden? Wie kann der Bund trotz der Negativerfahrungen mit dem OZG dazu beitragen, die Digitalisierung in den Kommunalverwaltungen zu forcieren?

Friedhelm Boginski: Aus meiner Sicht als Kommunalpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion haben Bund, Länder und Kommunen an einem Strang zu ziehen; gerade beim Onlinezugangsgesetz (OZG). Natürlich hat der Bund dabei eine Vorbildfunktion, weshalb z.B. auch unser Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann (FDP) im Justizbereich einen weiteren Schritt hin zur Erleichterung der Kommunikations- und Verwaltungsabläufe geht, indem er im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Aktenführung die Digitalisierung in allen Verfahrenswegen beschreitet und dieses Vorgehen stark fördert. Der Bund kann zwar beispielgebend sein und finanzielle Förderungsmöglichkeiten anbieten, den Erfahrungsaustausch und die Organisation vor Ort müssen aber die Bundesländer im Austausch mit den Kommunen selbst übernehmen. Das OZG 2.0. ist da ein gutes Beispiel. Zwar muss es erst noch durch den Vermittlungsausschuss gelangen und bezieht sich auf die Bundesverwaltung, aber es wird beispielgebend auf Länder und Kommunen wirken. Es sieht vor, dass Bund und Länder in einem gemeinsamen Gremium in den kommenden zwei Jahren Standards entwickeln, die für alle verbindlich sind und damit kostensparend und effizient für Verwaltungen vor Ort nutzbar werden.

Nicht abgelehnt hat der Bundesrat indes die Teillegalisierung von Cannabis. Auch hier zeigen sich (die Länder und) viele Kommunen sehr besorgt. Sie waren über anderthalb Dekaden auch Bürgermeister von Eberswalde. Sind die Sorgen und Nöte vieler Stadtoberhäupter im Zusammenhang mit der Teillegalisierung begründet?

Friedhelm Boginski: Die Sorgen und Nöte vieler Gemeindevertreter kann ich nicht mit guten Worten wegwischen. Aber wir müssen auch aus der anhaltenden Schockstarre des lange bestehenden Drogenproblems ausbrechen, indem wir tätig werden und nicht weiter abwarten. Sicherlich ist dieser Gesetzentwurf nicht der beste seiner Art, aber er ist immerhin ein Anfang. Nach einem Jahr haben wir uns einen Realitäts-Check verordnet, an dem wir eine Evaluation vornehmen werden, um das Gesetz um die Gegebenheiten und Erfahrungen, die vor Ort gemacht worden sind, zu bereichern und damit noch zu verbessern. Vorerst ist uns aber erst einmal wichtig, den illegalen Drogenmarkt zu entschärfen, unsere Polizeikräfte zu entlasten und Sorge dafür zu tragen, dass Kinder und Jugendliche besser vor illegalen Drogen geschützt werden.

Was wird mit der Teillegalisierung aus Ihrer Sicht auf die Städte und Gemeinden zukommen?

Friedhelm Boginski: Im Bereich Kinder- und Jugendschutz ändert sich nichts. Für Minderjährige gilt: Der Erwerb, Besitz und Anbau von Cannabis bleiben verboten. Die Abgabe von Cannabis an Kinder und Jugendliche ist weiterhin strafbar. Andere Handlungen, die für Erwachsene strafbar sind, sind auch für Jugendliche strafbar (z.B. unerlaubter Handel). Wenn Jugendliche gegen das Verbot verstoßen, soll die zuständige Polizei- und Ordnungsbehörde die Erziehungsberechtigten informieren, damit frühzeitig entsprechende Maßnahmen getroffen werden können (niedrigschwellige Hilfen). Einige Aspekte im Gesetzestext muten lebensfern an und deshalb ist die Evaluation, vor allem durch die Kommunen, besonders wichtig.

Wie gerade erwähnt sind Sie ein erfahrener Kommunalpolitiker. Die Städte und Gemeinden stehen allein schon angesichts des Fachkräftemangels (Kitapersonal bis Müllwerker) vor enormen Herausforderungen – hinzu kommen von der Flüchtlingsunterbringung über die Wärmeplanung bis zum Strom- und Breitbandnetzausbau immer neue Aufgaben. Was sind aus Ihrer Sicht die derzeit größten Herausforderungen in den Kommunen?

Friedhelm Boginski: Kommunen stehen vor sehr vielen komplexen Herausforderungen, die das Zusammenleben und die Daseinsvorsorge betreffen. Bei der Integration geht es vor allem darum, Menschen mit Migrationsgeschichte in unser soziales und kulturelles Leben einzubinden. Das klingt zwar erst einmal abstrakt, wird aber vor Ort in den Kommunen z.B. durch die Schaffung von Begegnungszentren umgesetzt, die Hilfe in verschiedenen Sprachen anbieten. Die Migration stellt Kommunen vor die Aufgabe, Unterkünfte bereitzustellen und die Teilhabe am Arbeitsmarkt zu fördern. Das ist beileibe keine einfache Aufgabe und sie wird auch nur gelingen, wenn ehrenamtlich Tätige in den Kommunen aktiv mitmachen und so der sozialen Teilhabe ein Gesicht geben. Es braucht die Hilfe von Bürgern für Bürger, um Demokratie aktiv umzusetzen, denn auch der Zugang zu Bildung und Unterstützung für bedürftige Bürgerinnen und Bürger ist hierfür notwendig. Für den Bereich der medizinischen Versorgung müssen Kommunen innovative Konzepte entwickeln, um dem Ärztemangel, besonders in ländlichen Gebieten, etwas entgegenzusetzen. Schließlich sorgt die Erhaltung der öffentlichen Ordnung, als eine zentrale Aufgabe von Sicherheit und der Einhaltung von Gesetzen dafür, dass Funktionieren der Demokratischen Ordnung zu erhalten und zu respektieren. Hierbei spielen auch wieder die Digitalisierung und die Modernisierung der Verwaltung eine wichtige Rolle.

Wie kann man die vielfältigen Aufgaben priorisieren?

Friedhelm Boginski: Die Priorisierung ihrer Aufgaben kann und muss jede Kommune für sich selbst erarbeiten, je nachdem vor welchen Aufgaben sie steht. Es ist nicht die Aufgabe des Bundes hier Vorgaben zu machen, dafür sorgt schon die durch das Grundgesetz geschützte kommunale Selbstverwaltung. Genau hier kommt sie zum Tragen. Best Practice Beispiele und Vernetzung untereinander können den Kommunen helfen, passgenaue Lösungen für ihren Weg zu einer gut funktionierenden, bürgerfreundlichen Verwaltung zu finden.

Welche Rolle können interkommunale Kooperationen einnehmen?

Friedhelm Boginski: Städte und Gemeinden müssen sich darauf einstellen, dass sie aufgrund der zunehmenden Komplexität des Digitalzeitalters auch auf liebgewonnene lokale Eigenheiten verzichten müssen. Aus meiner Sicht führt kein Weg an stärkerer interkommunaler Kooperation vorbei, wenn sich Kommunen für die Zukunft gut aufstellen wollen. Bürgerinnen und Bürger interessieren sich weniger für individuelle Portale im stadteigenen Corporate Design. Vielmehr gilt ihr Interesse einem funktionalen und digitalisierten Verwaltungszugang, der gerne auch für die Bürgerinnen und Bürger mehrerer Gemeinden zur Verfügung stehen kann.

Vielen Dank!

Friedhelm Boginski ist seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestags und kommunalpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Zuvor war er von 2006 bis 2021 Bürgermeister der brandenburgischen Stadt Eberswalde.(DEKOM, 22.04.2024)  Mehr Infos hier…

Print Friendly